Mittwoch, Februar 27, 2008

B L I N Z E L N

Universität Konstanz


HS: Martin Heidegger: Was heißt Denken?


WS: 2007/08


Dozent: Mike Roth


Protokoll vom 14. 01. 2008, Iris Rothemund-Leonhard
t

Der Seminarstunde zugrunde liegt das Referat: Oliver Lambrecht

Thema: Heideggers »Lichtblick«

Das Referat befasst sich mit dem Nietzsche-Ausspruch in »Also sprach Zarathustra «1

»»Wir haben das Glück erfunden « - sagen die letzten Mensch und blinzeln.«

Martin Heidegger bespricht in seinen Vorlesungen im Wintersemesters 1951/522 diese Art des »Blinzelns« und folgt damit dem Ausspruch und den Überlegungen Nietzsches. In einem Brief an Hanna Arendt erwähnt Heidegger diesen Satz aus Zarathustra. Wie seine VI. Vorlesung unter dem Thema: »Was heißt Denken« zeigt, hat er versucht, das Blinzeln in einen Zusammenhang zum Denken zu stellen und in dieser Position zu analysieren. Dabei definiert er zuerst den Begriff: »Blinzeln«3, weiss ihn aber auch auf seine ironische Art in mancherlei Weise implizit zu nutzen. Der Referent versucht den Sprachspielen, sowie den ernsthaften Überlegungen Heideggers auf die Spur zu kommen.

Ausgehend von einem »animal rationale«, dem vernünftigen Tier4, ist der Mensch, laut Heidegger, »das noch nicht fest-gestellte Tier«. »Der bisherige Mensch (muss) über sich hinaus gebracht werden,«5 meint er. Dieser bisherige Mensch (das noch nicht fest-gestellte Tier nach Nietzsche), wird als der »letzte Mensch« bezeichnet und dieser will das »Überwinden seiner bisherigen Art« nicht. Warum sollte er auch, er hat ja sein Glück erfunden – er bedarf keines weiteren. Allerdings ist es fraglich, ob Menschen, die keine Liebe, keine Schöpfung, keine Sehnsucht und keine Sterne kennen, sich vorstellen können, was Glück ist, und was es eventuell für den »letzten Menschen« bedeuten könnte.

Der Begriff Blinzeln wird zuerst in unserer heutigen Verwendung erörtert. Wir bezeichnen damit in erster Linie einen Augenreflex.

»Blinzeln ist meist ein reflexhaftes kurzes Schließen und wieder Öffnen beider Augenlider.«6 der Reflex dient zur Befeuchtung der Augennetzthaut. Der Reflex tritt auch auf, wenn dem Auge durch Fremdkörper von außen Gefahr droht und ist gleichfalls aktiv, wenn die Augennetzhaut berührt oder verletzt wurde.

Im sozialen Miteinander kann das Blinzeln auch ein positiv konnotiertes Verständigungszeichen sein das Ironie signalisiert oder ein Spielsignal, mit dessen Hilfe nonverbal, auf bestimmten Spielregeln beruhend, einem Mitspieler ein Zeichen zugestellt wird. In diesen Fällen spricht man auch von Zwinkern – einem Sich-Zuzwinkern.

In einem Rückgriff auf den Text, Seite 14 (Reclam), verweist der Referent auf Bemerkungen Heideggers, der ein Gedicht Hölderlins in eine Wechselbeziehung von »Denken« und »Liebe« stellt. Im Gedicht »Sokrates und Alcibiades« heißt es:

»... Wer das Tiefste gedacht, liebt das Lebendigste,
Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblickt, ...«

[Niemeyer S. 9/ Reclam S. 14, Vorlesung II]

Im Referat wird bemängelt, dass nur die erste Verszeile Heideggers Aufmerksamkeit erregt, die folgende Zeile aber unbeachtet bleibt. Der Referent ist der Meinung, dass die Zeile: »Hohe Jugend versteht, wer in die Welt geblickt«, mit Gewicht auf »geblickt«, als ein erster Ansatz zu einem Blinzeln verstanden werden sollte. »Meiner Meinung nach blitzt hier bereits das Blinzeln (oder das, was es ausmacht) durch.«7

Eine weitere Stelle aus Heideggers dritter Vorlesung wird angeführt:

»Gleichwohl fällt auf unserem Weg ständig ein Licht in das Denken. Allein dieses Licht
wird nicht durch die Laterne der Reflexion erst herzugebracht. Das Licht kommt aus
dem Denken selbst und nur aus ihm.«

[S. 10/ S. 16, III. Vorlesung]


Es stellt sich für den Referenten die Frage: »von welcher Qualität ist diese Erleuchtung, wenn sie den Betrachter nicht zum Blinzeln bringt?«8

Heidegger gibt an späterer Stelle diesbezüglich eine Antwort, wenn er mit Blick auf den letzten Menschen, so wie Nietzsche ihn sieht, das Blinzeln mit dem Gültigen und Geltenden in Bezug setzt.(Reclam, S.46) Heidegger fasst diese Art des Vorstellens in die Einsicht, »dass bereits alles Vorstellen in sich den Charakter des Blinzelns hat«9. Es kann aber auch gefragt werden, ob Nietzsche mit dem Blinzeln des letzten Menschen eben gerade einen Menschen meint, der durch sein mechanisches Blinzeln10 auf sein festgesetztes Vorstellen11 verweist, und damit anzeigt, dass er nicht mehr denkt.

Vergleichen wir die Zeile aus Hölderlins Gedicht mit der Rede Zarathustras.

Zitat Hölderlins:

»Hohe Tugend versteht, wer in die Welt geblickt.«


Zitat Nietzsche, Zarathustra:

»Seht! Ich zeige euch den letzten Menschen.
'Was ist Liebe? Was ist Schöpfung? Was ist Sehnsucht? Was ist Stern?' - so fragt der letzte Mensch und blinzelt.
Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein
macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am
längsten.
'Wir haben das Glück erfunden' - sagen die letzten Menschen und blinzeln.«

[S. 29/ S. 45 Vorlesung VI]


In seiner siebten Vorlesung geht Heidegger auf diesen Ausspruch Zarathustras besonders ein und analysiert den Begriff Blinzeln.

»Welches ist die Art des Vorstellens, worin sich die letzten Menschen aufhalten? Die
letzten Menschen blinzeln. Was heißt das? 'Blinzeln' hängt zusammen mit 'blinken',
'glänzen', 'scheinen'. Blinzeln - das heißt: ein Scheinen und einen Anschein zuspielen und

zustellen, auf welchen Anschein man sich als etwas Gültiges verabredet und zwar mit
dem wechselseitigen, gar nicht ausdrücklich abgesprochenen Einverständnis, all dem
so Zugestellten nicht weiter nachzugehen. Blinzeln: das verabredete und schließlich der
Abrede gar nicht mehr bedürftige Sich-zu-stellen der gegenständlichen und
zuständlichen Ober- und Vorderflächen von allem als des allein Gültigen und
Geltenden, womit der Mensch alles betreibt und abschätzt.«

[S. 30/ S. 46, VII. Vorlesung]


Der Referent stellt sich die Frage: »Blinzelt Heidegger hier noch oder zwinkert er schon? Es klingt ganz so, als würde hier aus einem nicht zu kontrollierenden Reflex gleich volle Absicht [...] Heidegger unterstellt gerade im letzten Teil der Passage den Blinzelnden völlige Absicht.«13

»Aber dieser Erfindung des Glücks zum Trotz werden die Menschen von einem
Weltkrieg in den nächsten gejagt. Man blinzelt den Völkern zu, der Friede sei
die Beseitigung des Krieges.«

[S. 31/ S. 48]


Welchen Einfluss hat das Blinzeln auf falsches Vorstellen? Heidegger betreibt hier Ideologiekritik.

Hier ist das Blinzeln ein »Zwinkern« des modernen Menschen und Ausdruck seiner hausgemachten Verstrickung, wie Heidegger Nietzsches geheimnisvolles Blinzeln interpretiert.

Nitzsche: »... Sie haben das Glück er – funden ...« Man kann hinzusetzen: und wenn es sein muss, durch Krieg.

An dieser Stelle werden als Beispiel die Nachkriegsjahre nach dem zweiten Weltkrieg angeführt. Heidegger hatte mit Sicherheit die Aktivitäten der Siegermächte im Blick. Die Verstrickung der politischen Parteien von Ost und West, die sich in ihrer militärischen Aufrüstung gegeneinander, sowie in Friedensbeteuerungen untereinander zu überbieten versuchten (z.B. Kalter Krieg).

»Nietzsche gibt uns eine Antwort auf unsere Frage nach demjenigen Vorstellen, das
alles Blinzeln des letzten Menschen im vorhinein durchherrscht. Sie steht im
drittletzten Stück des zweiten Teiles von 'Also sprach Zarathustra' (1883). Die
ses ist überschrieben 'Von der Erlösung'. Hier heißt es:
'Der Geist der Rache: meine Freunde, das war bisher der Menschen bestes
Nachdenken; und wo Leid war, da sollte immer Strafe sein.'«

[S. 32f/ S. 49f]


Heidegger versucht nun das Blinzeln des modernen Menschen mit dem Geist der Rache zu erklären

und einen Zusammenhang zwischen beiden auf zu zeigen. Die Frage steht im Raum: Gibt es überhaupt ein gelungenes Leben?

Ab und zu ist Blinzeln nicht nur aktiv, sondern es geschieht. Der Aspekt des Fatums ist mit zu beachten. Es wird ein Argument/ein Beispiel aus medienwissenschaftlicher Perspektive aufgeführt:

Eine Filmszene wird vor oder bei dem Blinzeln eines Schauspielers oder Dialogpartners gecuttet. Sein Blinzeln verweist auf einen neuen Gedanken. Doch beim Blinzeln entsteht im Dialog eine minimale Pause – das ist eine Gelegenheit für die Kamera zum 'turn'.

Der moderne (der letzte Mensch) Mensch blinzelt. Was aber macht der Übermensch mit dem Blinzeln? Wir erinnern uns an Nietzsches Aussage, dass der Übermensch nicht mehr blinzeln muss . Der Übermensch hat keine Unwahrheit mehr, er besitzt den Adlerblick, der sich weder blenden lässt noch ängstlich blinzelt.

Abschließend macht der Referent deutlich, dass Heideggers in seiner Vorlesung angesichts des Begriffes »Blinzeln“ zu keiner Klärung kommt. »Genau genommen hat Heidegger es nicht geschafft den Begriff präziser zu fassen.«15 Auch ist das Synonym »moderner Mensch« - »letzter Mensch« in Heideggers Vortrag nicht differenziert genug erläutert.16



Anhang, Grafik: - Es gibt verschieden Arten des Blinzelns:


B1 z.B. Künstler: Blinzeln ist 1 Wahrnehmung

2 (erkennendes) Blinzeln } aktiv

3 neue Wahrnehmung


B2 Blinzeln }

- überraschend }

vom Dunkeln ins Helle treten/blicken } Reflex

- geblendet }

-> geblinzelt }


B3 Blinzeln ist ¬ (Negation von B 2) ist Erkenntnis, ist Erkennen des Sehers. Der Seher ist der Übermensch im Sinne Nietzsches. Bsp: Das Höhlengleichnis von Platon.


Das Augenzwinken ist dagegen eine Art der Kommunikation, ein Zublinzeln – Augenkniepen. (Spiele/Kinderspiele)

1Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Vollständige Ausgabe von »Also sprach Zarathustra « nach dem Text der Ausgabe Leipzig 1891. 12. Auflage. München 1996 S. 16

2Martin Heidegger: Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52. Tübingen 1992. Der Text entspr. dem Ersten Teil von Martin Heideggers Schrift Was heißt Denken? und folgt der vierten, durchgesehenen Auflage. Tübingen 1984

3Ebda S. 45 ff

4Ebda S. 38 ff

5Ebda S. 39f

7Zitat, Referat: Oliver Lambrecht

8Zitat, ebda

9Martin Heidegger: Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52. Tübingen 1992. Der Text entspr. dem Ersten Teil von Martin Heideggers Schrift Was heißt Denken? und folgt der vierten, durchgesehenen Auflage. Tübingen 1984. S. 47

10Im Nietzsche Zitat steht das Blinzeln am Schluss der Aussagen: ... »und blinzelt.« Das Blinzeln ist also ein Reflex, der eingeübt scheint und nicht bloß als körperlicher Reizreflex auftritt.

11S. 46: »Diese Wesensart beruht für das animal rationale in der Weise, wie es alles, was ist, als seine Gegenstände und als seine eigenen Zustände zum Stehen bringt, vor sich stellt«... oder S. 48: »Wir werden von allen Seiten her mit Hilfe unserer Soziologie, Psychologie und Psychotherapie und mit noch einigen anderen Mitteln dafür sorgen, dass demnächst alle Menschen auf die gleiche Weise in den Zustand des gleichen Glückes gestellt werden...«

12Hervorhebung , auch in den folgenden Fällen, von mir.

13Zitat, Referat: Oliver Lambrecht. S.4

14 »Dies, ja dies allein ist Rache selber: des Willens Widerwille gegen die Zeit und ihr 'Es war'.« (Also sprach Zarathustra, II. Teil, Von der Erlösung) [o.A. / S. 56]

15Zitat, Referat: Oliver Lambrecht. S. 5

16Martin Heidegger: Was heißt Denken? Vorlesung Wintersemester 1951/52. Tübingen 1992. Der Text entspr. dem Ersten Teil von Martin Heideggers Schrift Was heißt Denken? und folgt der vierten, durchgesehenen Auflage. Tübingen 1984. S. 46 - »Der bisherige Mensch ist der letzte Mensch.« S.48 – »Währendessen muss der letzte Mensch sich in einem Vorstellen bewegen [...] das dem modernen Menschen verwehrt, über sich und seine Art hinaus zusehen.«

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