Montag, Juni 02, 2008

Ludwig Tiecks literarisches Schaffen im Lichte Schellings und Kants

Tobias Hummelsberger


I.Schellings Naturphilosophie

In seinem Werk „Romantik. Eine deutsche Affäre“1 weist Rüdiger Safranski auf den Einfluss des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling auf die poetische Naturkonzeption des Dichters Ludwig Tieck hin2. Schelling gehörte neben Fichte und Schiller zu den Gründungsvätern des Jenaer Kreises, dem sich alsbald junge aufstrebende Denker anschlossen und der als Wiege der romantischen Bewegung in die Geschichte eingehen sollte; vor allem Vertreter der „schönen Künste“ wurden von Jenas geistigem Zentrum angezogen, so auch der Berliner Ludwig Tieck. Aufgrund des geistigen und physischen Zusammenlebens ist es nicht verwunderlich, wenn die Werke der Jenaer Protagonisten die Früchte gegenseitiger Einflussnahme tragen.
Um Tiecks Übersetzung der philosophischen Anschauungen Schellings in seine romantische Ästhetik aufzuzeigen, werden im Folgenden Grundzüge der Schellingschen Naturphilosophie referiert.

Seit 1797 entwickelt Schelling in seiner Metaphysik die von Leibniz aufgestellte These von der „prästabilierten Harmonie“ weiter: Seine „immanent prästabilierte Harmonie“ besteht nicht zwischen Innen- und Außenwelt, sondern zwischen individueller Monade und monadischen Universum3. Die Einheit von Existenz und Bewusstsein, die der Mensch sich selbst wissend ist, steht in prästabilierter Harmonie zur Einheit von Wirklichkeit und Vernunft, die er als Weltzusammenhang erfasst – Bewusstsein und Welt spiegeln sich also ineinander. Vielleicht ist das, was Tieck zur Aussage bewegte, er behandele in seinen frühromantischen Werken ein „Grauen, welches uns unmittelbar mit dem Universum auf dunkle Weise verknüpfen soll.“4
Seine Naturphilosophie veröffentlicht Schelling erstmals in seinem Werk „Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie“ (1799). Es gilt, die Natur als Wirklichkeit selbst, als unbedingte Realität zu begreifen, die erfahrene Wirklichkeit selbst bedenkend zu rekonstruieren:
„Da sie [die Natur, Anm. d. Vfs.] sich selbst die Sphäre giebt, so kann keine fremde Macht in sie eingreifen; alle ihre Gesetze sind immanent, oder: die Natur ist ihre eigene Gesetzgeberin, (Autonomie der Natur).
Was in der Natur geschieht, muß sich auch aus den thätigen und bewegenden Principien erklären lassen, die in ihr selbst liegen, oder: die Natur ist sich selbst genug, (Autarkie der Natur).
Zusammenfassen lässt sich beides in den Satz: die Natur hat unbedingte Realität; welcher Satz eben das Princip einer Naturphilosophie ist.“5
Damit geht er der von Kant in der „Kritik der Urteilskraft“ aufgeworfenen Frage nach, wie die als Ganzheit erfahrene Natur auch als aus sich vermittelte Ganzheit begriffen werden kann.
Auch Tieck begreift die Natur, seine poetische Naturkonzeption, als ganzheitlich. In seiner Dichtung erscheint die Naturlandschaft als Komplex zusammenhängender Naturdinge, der sich räumlich wie zeitlich entfaltet und sich ästhetisch als Bild darbietet. In seinen beiden Kunstmärchen „Der blonde Eckbert“ und „Der Runenberg“ werden die Autonomie und die Autarkie der Natur grundlegend durch die topologische Konzeption des Handlungsgeschehens inszeniert: Der phantastisch-märchenhafte Natur-Raum ist deutlich abgegrenzt vom rationalen Stadt-Raum; dies ermöglicht die Bildung von Gegensätzen wie heidnisch/christlich und Abenteuer/Alltag. In den beiden Märchen ist die Natur eine in sich geschlossene Märchenwelt, in der das Phantastische stattfindet, die Protagonisten erweisen sich dabei als Grenzgänger. Im Runenberg sieht sich Christian der Übermacht der Natur ausgeliefert, die sich in der Bergkönigin manifestiert. Die Erscheinung der Naturlandschaft als Komplex, als in sich geschlossen, hat Tieck mit seinen beiden Kunstmärchen in die deutsche Literatur eingeführt – damit hat er die Romantik nachhaltig geprägt, seine Naturkonzeption wird von den Romantikern, besonders von E.T.A. Hoffmann und Joseph von Eichendorff, aufgenommen und entwickelt sich schließlich zu einem unverkennbaren Stilmittel der deutschen (Früh-)Romantik. Insofern lässt sich sagen, dass durch Tieck die Schellingsche These der in sich geschlossenen Natur zu einem wegweisenden poetischen „Romantikum“ ausgearbeitet wird.

Zurück zum „Ersten Entwurf“: Eine sich in all ihren Ausformungen hervorbringende und sich durch all ihre Ausformungen immer wieder erhaltende und durch sie hindurch immer erneuernde Natur lässt sich nur anhand von drei zusammenwirkenden Momenten denken:
1.Die Natur ist unendliche Produktivität – der Mensch erfährt die Natur immer als sich produktiv erneuernde Kraft.
2.Die Natur ist unendliche Hemmung – der Mensch erfährt die Natur in bestimmten Ausformungen, und so muss der unendlichen Produktivität eine ebenso unendliche Hemmung entgegengesetzt werden, die auf Bestimmtheit hin drängt und durch die erst Qualitäten denkbar werden:
„Man denke sich Eine von Einem Mittelpunct nach allen Richtungen ausströmende, ursprünglich in sich selbst unendliche Kraft, so wird diese in keinem Punct des Raums einen Moment verweilen, den Raum also leer lassen, wenn nicht eine entgegenwirkende (retardierende) Thätigkeit ihrer Expansion eine endliche Geschwindigkeit giebt.“6
3.Die Natur ist permanente Reproduktion – in jeder einzelnen Ausformung der Natur vernichten und erneuern sich die Produktivität und die Hemmung ununterbrochen, Position und Negation würden sich ohne das vermittelnde Moment der Reproduktion auslöschen:
„Kein Produkt in der Natur ist also fixirt, sondern, in jedem Augenblick durch die Kraft der ganzen Natur reproducirt. (Wir sehen eigentlich nicht das Bestehen, sondern das ständige Reproducirtwerdern der Naturprodukte).“7
Mit diesen drei Momenten ist die wirkliche und werdende Natur beschrieben, ein produktiver Prozess, der durch all seine Ausformungen hindurch sich permanent erneuert:
„Beispiel: Ein Strom fließt in gerader Linie vorwärts, solange er keinem Widerstand begegnet. Wo Widerstand – Wirbel. Ein solcher Wirbel ist jedes ursprüngliche Naturprodukt, jede Organisation z.B. Der Wirbel ist nicht etwas Feststehendes, sondern beständig Wandelbares – aber in jedem Augenblick neu Reproducirtes. 8
Nach dieser Betrachtung der Natur als Ganzheit muss nun der Naturprozess selbst in seinen konkreten Ausformungen begreifend rekonstruiert werden. Schellings Grundidee dabei ist, dass sich jene drei Momente auch als tatsächliche Momente der Natur erweisen lassen müssen. Als solche sind sie nun nicht mehr Prinzipien der Denkens, sondern Wirkmächte der Natur selbst, die Schelling „Potenzen“ nennt. Diese Potenzen sind die Materie, das Licht und der Organismus. Jede Potenz kann als eine bestimmte Ausformung der Natur selbst wiederum nur aus jener gerade umschriebenen dreifachen Bestimmtheit als sich produzierende Gestalt begriffen werden, und jede beherrscht einen bestimmten Bereich: die Materie die Sphäre des Himmelsgeschehens, das Licht die dynamisch-qualitativen Dimensionen der magnetisch-elektrischen-chemischen Prozesse und der Organismus den Bereich der Lebensprozesse. Problematisch ist die Frage nach dem Anfang der Materie. Sie kann nicht vorausgesetzt werden, da ja das Werden der Natur aus sich selbst begriffen werden soll:
„Die ganze Natur [...] soll einem immer werdenden Producte gleich seyn.[...] Alles, was in der Natur ist, muß angesehen werden, als ein Gewordnes. Keine Materie der Natur ist primitiv, denn es existiert eine unendliche Mannichfaltigkeit ursprünglicher Actionen [...]. - Diese Actionen zusammen sollen nur Ein absolutes Produkt darstellen. Die Natur also muß sie combiniren. Es muß daher ein allgemeiner Zwang zur Combination durch die ganze Natur statt findend [...].“9
Materie tritt dem Menschen immer als in sich bewegt entgegen, beispielsweise als rotierender Himmelskörper. Dieser ist das Ergebnis zweier in ihm gegenwirkender Kräfte (Position und Negation), die nicht von gleicher Art sind, die sich in ihm beständig vernichten und erneuern. Diese zwei Kräfte sind nie direkt, sondern immer nur indirekt an ihrem sich konkretisierenden Ergebnis erfahrbar. Zwar ist das Universum unendlich, doch wird das Materielle durch das Hervortreten der zweiten Potenz des Lichtes bzw. jener Aktionen, die am Licht in Erscheinung treten können, begrenzt. Die Begrenzung ist somit keine äußere, sondern eine innere, die Schelling vor allem an den Phänomenen der dynamischen Prozesse des Magnetismus, der Elektrizität und der chemischen Prozesse diskutiert. Der Organismus als dritte Potenz ist die in sich selbst reproduzierende Produktivität, er unterwirft die anderen Potenzen in seinem Bereich seinem Drang zur Reproduktion. Die Materie und die dynamischen Prozesse werden so zur Erhaltung eines sich ständig erneuernden Lebensprozeses durch einzelne individuelle Ausformungen hindurch eingesetzt und an dieser Aufgabe ausgerichtet. Auch hierzu findet sich bei Tieck eine Parallele: Es ist der umherirrende Künstler Franz Sternbald, der die unendliche Produktivität der in sich geschlossenen Natur erkennt:
„Ich höre, ich vernehme, wie der ewige Weltgeist mit meisterndem Finger die furchtbare Harfe mit allen ihren Klängen greift, wie die mannigfaltigsten Gebilde sich seinem Spiel erzeugen, und über die ganze Natur mit geistigen Flügeln ausbreiten.“10

Der Organismus seinerseits drängt auf eine Ausformung hin, die keine (eigentliche) Ausformung der Natur mehr ist und doch mit ihren ermöglichenden Bedingungen ganz und gar in der Potenz des Organismus verwurzelt ist: das menschliche Bewusstsein. Das Bewusstsein ist etwas, das die Natur aus sich selbst hervorgebracht hat und in dem die Natur auch weiterhin wirksam ist, und zwar in der spezifischen Ausformung des bewussten Verhältnisses zur Wirklichkeit. Es ist eine der Hauptaufgaben der Naturphilosophie, die Natur als Gesamtwirklichkeit so zu bestimmen, dass das organische Leben und das menschliche Bewusstsein als ihre eigenen Potenzen begriffen werden können. Sie muss alle Ausformungen des Wirklichen als aus der Natur selber hervorgebracht rekonstruieren, bis hin zum Bewusstsein, das ebenfalls als eine Ausformung der Natur zu erfassen ist, in der sich die Natur selber anzuschauen und zu begreifen beginnt.
Auf diesen Punkt spielt Safranski wohl an, wenn er anmerkt, Tieck habe bei Schellings Naturphilosophie eine Bestätigung dafür gefunden, „daß sich im Spiegel der Abgründe der äußeren die eigene innere Natur enthüllt [;] doch während für Schelling im menschlichen Geist die Natur zum hellen Bewußtsein ihrer selbst durchdringt, faszinier[e] Tieck das Dunkle, auch Grauenvolle“11. Gerade in seinen Kunstmärchen entsteht eine metaphysische Korrespondenz zwischen Mensch und Natur, die Landschaft wird zum Gemüt und das Gemüt zur Landschaft, die Natur wirkt bewegt und beseelt. Jenes Dunkle findet sich verstärkt in der Gebirgslandschaft. Im „Runenberg“ eilt der Protagonist Christian in völliger Ekstase hinauf auf den Berg; eine zunehmende Anthropomorphisierung der Umgebung, die letztlich ihren Ausgang im Bereich des Anorganischen findet, sowie eine Annäherung an die innere Welt sind zu verzeichnen:
„Der junge Jäger war nicht verwundert, er verdoppelte nur seine Schritte nach dem Runenberge zu, alles winkte ihm dorthin, die Sterne schienen dorthin zu leuchten, der Mond wies mit einer hellen Straße nach den Trümmern [...] und aus der Tiefe redeten ihm Gewässer und rauschende Wälder zu und sprachen ihm Mut ein. Seine Schritte waren wie beflügelt [...].“ /
„[...] [D]ie Felsen wurden steiler, das Grün verlor sich, die kahlen Wände riefen ihn mit zürnenden Stimmen an [...].“/
„[...] [S]o sehr spornten ihn irre Vorstellungen und unverständliche Wünsche.“12
Die Naturdarstellung als beseelter Komplex in der deutschen Literatur ist ebenso das Verdienst Tiecks.


II.Kants Ästhetik

Auch Kants Philosophie hält Einzug in das Werk Tiecks. In seiner „Kritik der Urteilskraft“13 unterscheidet Kant das Erhabene vom Schönen der Natur14: Beide sind Gegenstand der reflexiven Urteilskraft, das Erhabene versetzt jedoch den Menschen in einen Zustand der Erregbarkeit, während das Schöne hingegen eine „ruhige Kontemplation“15 hervorruft. Ferner unterscheiden sie sich durch die Merkmale der Begrenzung und der Unbegreztheit: Das Naturschöne „betrifft die Form des Gegenstands, die in der Begrenzung besteht“16, denn der Schönheitsbegriff bezieht sich auf die Form, die Grenze und Umriss ist, das Erhabene findet sich dagegen auch im Formlosen, es liegt in der Unbegrenztheit. Das Schöne ist mit einem qualitativen, das Erhabene mit einem quantitativen Wohlgefallen verbunden.
Das Erhabene der Natur erlebt der Mensch an Naturereignissen und Naturgegenständen, die furchterregend sind oder das Gefühl des Ungeheuren oder der unendlichen Weite geben: Steile Felswände, Unwetter, Naturkatastrophen, das weite Meer, Wasserfälle, der Sternenhimmel, das Dunkel und die Stille der Nacht usw. vermitteln das Gefühl der Ohnmacht und Kleinheit, erregen Furcht oder schrecken den Menschen ab. Anders als beim Erleben des Naturschönen wird der Mensch von Anblick dieser Erscheinung in einer Art negativer Lust gleichzeitig angezogen und abgestoßen.
Kants Natur-Ästhetik setzt Tieck literarisch um: Das Erhabene der Natur erfährt der Tiecksche Protagonist des »naturalistischen« Kunstmärchens („Eckbert“/„Runenberg“) in der in sich geschlossenen Natur, vornehmlich in der Gebirgslandschaft: Schroffe Felsen, steile Klippen und bedrohliche Hänge vermitteln in ihrer Ambiguität beides, Erhabenheit und Schauer. Diese Ambiguität greift über auf die nachfolgende romantische Literatur, auch in der Malerei tritt sie als Motiv auf: Die Werke Caspar David Friedrichs sind hier zu erwähnen, in Bezug auf Tieck vor allem „Gebirgslandschaft mit Regenbogen“, „Felspartie“, „Winterlandschaft“, „Kreuz und Kathedrale im Gebirge“, „Der Chasseur im Walde“, „Erinnerungen an das Riesengebirge“. Wie bei Friedrich steht bei Tieck im künstlerischen Fokus nicht das Kantische Schöne, sondern das Erhabene der Natur. Eine Auseinandersetzung Tiecks mit Kants Ästhetik findet sich zudem in dem Essay „Über das Erhabene“17.
Kant hebt bei seiner Behandlung des Erhabenen immer wieder die Begegnung mit dem Abgründigen hervor, um auf die Ebene des Übersinnlichen, auf die Freiheit hinzulenken: Der Mensch ist zum einen ein eingeschränktes Sinneswesen, das mit seinem Anschauungsvemögen und seiner Phantasie das übersinnliche Unendliche und Unbedingte nicht greifen kann. Zum anderen kann er als moralisches Wesen das Sinnliche übersteigen und im Denken das Unendliche berühren. Im „Eckbert“ und im „Runenberg“ finden sich die Protagonisten dem Übersinnlichen, das sich in der Natur offenbart, ausgeliefert, die letzte Erkenntnis bleibt ihnen schließlich verborgen. Auch in „Franz Sternbalds Wanderungen“ wird der Einfluss von Kants Ästhetik spürbar, wenn Sternbald einem Handwerker gegenüber die erhabene Nutzlosigkeit der Kunst verteidigen muss.

Anmerkungen
1Safranski, Rüdiger: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007.
2 Siehe Safranksi, S. 104.
3 Zu Schellings Naturphilosophie siehe Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: „Von der wirklichen, von der seyenden Natur“. Schellings Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Hegel (Schellingiana Bd. 8, herausgegeben von Walter E. Ehrhardt im Auftrag der Internationalen Schelling Gesellschaft), Stuttgart-Bad Cannstatt 1996 sowie ders.: Schellings Idee einer Naturphilosophie.
http://www.uni-kassel.de/~schmiedk/Schelling.htm
4 Zitat nach Pikulik, Lothar: Frühromantik. Epoche – Werke – Wirkung (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte, herausgegeben von Wilfried Barner und Gunter E. Grimm), München 1992, S. 263.
5 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe; Reihe 1, Werke 7. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), herausgegeben von Wilhelm G. Jacobs und Paul Ziche, Stuttgart 2001, S. 81.
6 Schelling, S. 82.
7 Schelling, S. 276.
8 Schelling, S. 276.
9 Schelling, S. 93.
10 Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. In: Ders.: Werke in vier Bänden. Nach dem Text der »Schriften« von 1828–1854, unter Berücksichtigung der Erstdrucke. Herausgegeben von Marianne Thalmann, Bd. 1, München 1963, S.888. http://www.zeno.org/Literatur/M/Tieck,+Ludwig/Romane/Franz+Sternbalds+Wanderungen
11 Safranski, S. 104.
12 Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert/Der Runenberg (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7732), Stuttgart 1952/2002, S. 33f.
13 Siehe Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. In: Ders.: Werke in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Bd. 1, Frankfurt am Main 1977. http://www.zeno.org/Philosophie/M/Kant,+Immanuel/Kritik+der+Urteilskraft
14 Siehe Schneider, Gerhard: Naturschönheit und Kritik. Zur Aktualität von Kants Kritik der Urteilskraft für die Umwelterziehung (Epistemata – Würzburger Wissenschaftliche Schriften; Reihe Philosophie, Bd. 161 -1994), Diss. Würzburg 1994, S. 104-113.
15 Zitat Kants nach Schneider, S. 106.
16 Zitat Kants nach Schneider, S. 106.
17 Tieck, Ludwig: Über das Erhabene. In: Ders.: Schriften in in zwölf Bänden. Herausgegeben von Achim Hölter,
Bd. 1 Schriften 1789-1794, Frankfurt am Main 1991, S. 637-651.



Literaturverzeichnis

Primärliteratur:
Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft. In: Ders.: Werke in zwölf Bänden. Herausgegeben von Wilhelm Weischedel, Bd. 1, Frankfurt am Main 1977.
http://www.zeno.org/Philosophie/M/Kant,+Immanuel/Kritik+der+Urteilskraft

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph: Historisch-kritische Ausgabe; Reihe 1, Werke; 7. Erster Entwurf eines Systems der Naturphilosophie (1799), herausgegeben von Wilhelm G. Jacobs und Paul Ziche, Stuttgart 2001.

Tieck, Ludwig: Der blonde Eckbert/Der Runenberg (Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7732), Stuttgart 1952/2002.

Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. In: Ders.: Werke in vier Bänden. Nach dem Text der »Schriften« von 1828–1854, unter Berücksichtigung der Erstdrucke. Herausgegeben von Marianne Thalmann, Bd. 1, München 1963. http://www.zeno.org/Literatur/M/Tieck,+Ludwig/Romane/Franz+Sternbalds+Wanderungen

Tieck, Ludwig: Über das Erhabene. In: Ders.: Schriften in zwölf Bänden. Herausgegeben von Achim Hölter, Bd. 1 Schriften 1789-1794, Frankfurt am Main 1991, S. 637-651.


Sekundärliteratur:

Pikulik, Lothar: Frühromantik. Epoche – Werke – Wirkung (Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte, herausgegeben von Wilfried Barner und Gunter E. Grimm), München 1992.

Safranski, Rüdiger: Romantik. Eine deutsche Affäre, München 2007.

Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: „Von der wirklichen, von der seyenden Natur“. Schellings Ringen um eine Naturphilosophie in Auseinandersetzung mit Kant, Fichte und Hegel (Schellingiana Bd. 8, herausgegeben von Walter E. Ehrhardt im Auftrag der Internationalen Schelling Gesellschaft), Stuttgart-Bad Cannstatt 1996.

Schmied-Kowarzik, Wolfdietrich: Schellings Idee einer Naturphilosophie.
http://www.uni-kassel.de/~schmiedk/Schelling.htm

Schneider, Gerhard: Naturschönheit und Kritik. Zur Aktualität von Kants Kritik der Urteilskraft für die Umwelterziehung (Epistemata – Würzburger Wissenschaftliche Schriften; Reihe Philosophie, Bd. 161 -1994), Diss. Würzburg 1994.

Schlegel

Der Begriff der Mythologie bei Friedrich Schlegel
Patrick Wesp

1 Einleitung

Bei der Lektüre von Friedrich Schlegels frühen Schriften, zum Beispiel der ‘Rede über die Mythologie’, findet sich, dass dort die Begriffe ‘Poesie’, ‘Mythologie’, ‘Philosophie’, ‘Symbol’ und ‘Allegorie’ nicht scharf gegeneinander abgegrenzt werden und teils sogar synonym verwandt werden. Auch sein Bruder August Wilhelm Schlegel bezeichnet etwa die Mythologie als die „Urpoesie“, als „Sprache der Vernunft“ und als „Sprache der Phantasie“. Teils liegt dies an unscharfer Begriffsverwendung. Zum größten Teil jedoch liegt es daran, dass die Begriffe, bei der Definition des Mythos ineinander übergehen sollen, ja dies sogar notwendig tun. Dazu kommt, dass wir es, insbesondere bei August Wilhelm und Friedrich Schlegel mit ‘Möglichkeitsspielräumen’ zu tun haben. Das heißt, dass etwa Vernunft und Phantasie, im Prozess der Mythenbildung, in verschiedener Weise wirken können. Nicht zuletzt ist, insbesondere bei Friedrich Schlegel, die Konstruktion der neuen Mythologie mehr ein ‘Werden’. Wenngleich eine gewisse Ordnung für ihre Konstruktion vonnöten ist, so wird sie doch nie eine vollendete Systematik darstellen. Dabei drängt sich der Vergleich zur Turing-Maschine auf. Wenn ein System sich selbst zum Gegenstand hat, dann kann es nicht vollständig sein. Das Konzept des „Werdens“ beinhaltet jedoch mehr als das. Das zeigen Schlegels Anmerkungen über die Historizität der neuen Mythologie. Indem sie ein Produkt ihrer Zeit und ihrer Zeitgenossen ist, befruchtet sie sich selbst stets aufs Neue. Diese einleitenden Erörterungen sollen zum einen einen Rahmen bilden für den Umfang des Mythologiebegriffs. Zum Anderen sollen sie zeigen, dass es fast unmöglich ist, Friedrich Schlegels Theorie der neuen Mythologie, ohne den historischen und theoretischen Kontext zu verstehen. Auch Theorien anderer Philosophen und Poeten sind hier von Bedeutung. Es würde den Rahmen dieses Essays sprengen, beispielsweise die gesamte literaturtheoretische Rezeption, des Begriffs der Mythologie, im deutschen Sprachraum darzulegen. Ich denke jedoch, dass ich den Begriff der neuen Mythologie, wie er von Friedrich Schlegel im Athenäum verwandt wird, darstellen kann, ohne zu viele Autoren zu bemühen. Ich werde aber einige Anmerkungen, zum Beispiel von August Wilhelm Schlegel, einfließen lassen, um das Verständnis für manche fragmentarischen Äußerungen zu zu erleichtern. Es ist auch notwendig, einige andere Ideen von Theoretikern des ausgehenden 18ten und frühen 19ten Jahrhunderts darzustellen. Die Struktur meines Essays bleibt aber insoweit fragmentarisch, dass ich die einzelnen Kapitel auch anders hätte anordnen können. Die holistische Konzeption der „Rede über die Mythologie“ fordert eigentlich ein einziges, unaufgerämtes Kapitel. Der Übersicht halber kategorisiere ich aber in einzelne zentrale Ideen der Schrift.

2 Der Logos im Mythos

So phantastisch der Mythos auch ist, so wurzelt er doch in der Wirklichkeit. Zunächst bedarf das Mythologische der Narration, da die Elemente des Mythos einer anderen Welt angehören. Die Phantasie des Dichters erschafft den Hintergrund und die Protagonisten des Mythos. Jedoch herrscht auch hier nicht Beliebigkeit. Die Konstruktion des Mythos fußt in der Realität. So lenkt Helios seinen Wagen doch nur in den Bahnen, die die Sonne alltäglich beschreibt. Und so bunt auch der Olymp mit all seinen Göttern sein mag. Es gibt doch einen obersten Gott, der dem Oberhaupt im Staat entspricht. Der Mythos enthält also Elemente des Narrativen, Phantastischen, wie auch des Vernunftsmäßigen, Logischen. Die Mythendeutung der Aufklärung versuchte dem Mythos das narrative Element wegzuinterpretetieren. Übrig blieb die rationale Erklärung. Dabei wird der Olymp auf die Wiederspiegelung menschlicher und biologischer Eigenschaften reduziert. Die Phantasie spielt keine Rolle mehr. Dagegen steht die These Friedrich Creuzers, dass die Mythologie nicht erklärbar sei. Nur durch die Anschauung kann sie gefasst werden. „Gottfried Herrmann erkennt, dass die Creuzersche These auf die Identifikation von Poesie und Mythos hinausläuft und damit jeder rationalen Erklärung des Mythos den Boden entzieht.“1 Dies stellt die Basis dar, für Friedrich Schlegels These, dass Mythologie mit Poesie identisch ist. „Denn Mythologie und Poesie, beide sind eins und unzertrennlich.“2 Auf diese Beziehung gehe ich später nochmals ein. Für dieses Kapitel ist wichtig anzumerken, dass bei Friedrich Schlegel die neue Mythologie (auch) die Funktion hat, die Natur in poetischer Weise darzustellen. „Und was ist jede schöne Mythologie anders als ein hieroglyphischer Ausdruck der umgebenden Natur in dieser Verklärung von Fantasie und Liebe?“ 3 Trotzdem soll die Mythologie aus der Tiefe des Verstandes entspringen. „Die neue Mythologie muss im Gegenteil aus der tiefsten Tiefe des Geistes herausgebildet werden.“ Friedrich Schlegels Konstruktion der neuen Mythologie fordert also, dass die neue Mythologie sowohl eine Schöpfung der Einbildungskraft ist, wie auch des Verstandes. “…dass die neue Mythologie das Resultat bewusster Anstrengungen ist, nicht nur eine Schöpfung der Einbildungskraft, sondern ebenfalls des Denkens und der tiefsten Reflexion.“. 4 Dies gilt für die Schaffung, sowie für die Rezeption der Poesie, die dann zu einem Teil des Mythos wird. Der Poet erfasst also, sowohl verstandesmäßig als auch durch Anschauung, seine Umgebung. Er entwickelt so eine Idee. Diese verpackt er durch die Mittel der Anschauung. Die narrativen Mittel dazu nennt Friedrich Schlegel sowohl „Allegorien“ wie auch „Symbole“. Auch Johann Gottfried Herder spricht von „symbolisch“, „mythisch“ und „mytho-poetisch“. Die vernunftsmäßigen Elemente werden dann in diese bildhafte Erzählung eingebettet. Der Rezipient kann die bildhafte Narration vergleichsweise einfach dekodieren. Es bedarf aber wiederum einiger vernunftsmäßiger Anstrengung, die eingebetteten Elemente zu entschlüsseln. Herder spricht hier von der poetischen Bestandheit“ mythologischer Figuren einerseits und der poetischen Nebenidee“ andererseits. Auf den Begriff der „Ideen“ komme ich in Kapitel 5 nochmals zu sprechen.

3 Die Neue Mythologie als „Ewig Werdendes“

Auf welchem Wege soll nun aber die neue Mythologie kommen? Wird sie das Werk eines Meisters sein, wie es Spinoza etwa fuer Schlegel war? Und welche Gestalt soll sie annehmen. Soll es sich dabei um ein starres System von mythologischen Figuren handeln? Beides muss verneint werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass die neue Mythologie nur durch das Zusammenspiel von Mensch und Umgebung entstehen kann. Sie ist zum einen eine symbolhafte Reflexion der Natur, der Gesellschaft und der Natur des Menschen. Daher kann sie nicht spontan entstehen, sondern nur als Reaktion auf die Zustände in der Welt. Da die Welt aber in ständigem Wandel begriffen ist, ist es auch die Mythologie. Zum Anderen ist die Mythologie, auch in anderer Hinsicht, kein starres System. Sie ist mehr als ein bloßer Spiegel der Gegenwart und der Vergangenheit. Sie beinhaltet die “poetische Nebenidee”. Der Rezipient kann sie auf heuristische Weise lesen. Das heißt, er kann Elemente des Mythos als Fragmente von Ideen über die Welt lesen. Er kann aber auch, durch seine Phantasie, Elemente seiner Ideen darin wiederfinden oder dadurch bilden. Wenn ich zum Beispiel die mythische Figur des Helios betrachte, mag dies meine eigene Phantasie anregen. Ich erkenne und poetisiere einen Weltzustand. Eine Eigenschaft des Helios ist zum Beispiel die, dass er eine einzelne Person ist, die für alle Menschen den Himmel erleuchtet. Wenn es ein anderer versucht, so ist dies zum Scheitern verurteilt. Das kann die Nebenidee in mir wachrufen, dass Herrschaftssysteme die Eigenschaft haben, einen alleinigen Anspruch auf Wahrheit zu propagieren. Um dies zu kritisieren, spinne ich einen Mythos, in dem der Feuerwagen jeden Tag anders besetzt ist. Dies kann ich beispielsweise anhand von Gegebenheiten in der Natur festmachen um symbolischen Charakter zu schaffen. Ich kann die unterschiedliche Zahl der Sonnenflecken als Besatzung des Wagens symbolisch darstellen. Auch Friedrich Schlegel will,“…dass der Leser die Arbeit des Autors gedanklich fortsetzt und dessen Anregungen selbstständig realisiert.5”. Ich würde den Gedanken von der „Nebenidee“ noch weiter führen. Denn durch die Lektüre des Mythos können auch Ideen im Rezipienten wachgerufen werden, die nicht vom Autor intendiert wurden. Die Mythologie wäre also mehr als die Summe ihrer Teile.

4 Genie und Kollektiv

Dies deutet auf einen weiteren Gedanken der Frühromantik hin. Die neue Mythologie soll durch die gemeinschaftliche kreative Tätigkeit verschiedener Individuen entstehen. Diesen Gedanken hat wohl keiner der zeitgenössischen Künstler so gut verwirklicht wie die Gebrueder Schlegel dies mit der Herausgabe des Athenäums taten. Gleichzeitig finden sich aber, vor allem in Friedrich Schlegels Schriften, Hinweise darauf, dass das Individuum nur eine Fragment des Unendlichen sei. Es scheint so, als würde hier der Geniegedanke frontal mit der pantheistischen Allheit des Seins kollidieren. Tatsächlich findet sich hier eine weitere Parallele von Friedrich Schlegels romantischer Vorstellungen mit der alten Mythologie. Sowohl mit deren Form, wie auch der Intention, mit dem die alten Dichter sie erfanden. Was die Form angeht, so sind die mythischen Gestalten Personifikationen von Aspekten der umgebenden Natur. Der Planeten, der Flüsse und Meere, oder abstrakter Phänomene und Verhaltensweisen, wie der Jagd oder der Eifersucht. Und doch wirken all diese Personifizierungen aus eigenen Motiven. Ja sie wenden sich sogar gegen ihre Umwelt (also die anderen Gottheiten). So verbannt Zeus die Titanen und entmannt seinen Vater, so wie der seinen Vater vor ihm. Athene, Diane und Aphrodite streiten darum wer die Schönste ist. Letzten Endes ist es aber ihr gemeinsames Wirken, das den Olymp bildet. So soll es sich auch mit dem Wirken der Dichter und Denker im Schaffen der neuen Mythologie verhalten. Auch in Bezug auf die Intentionen der romantischen Dichter, in der neuen Mythologie, soll es diese Symmetrie geben. Dichter sollen, jeder auf seine eigene Weise, zur Schaffung der neuen Mythologie beitragen.„Überhaupt muss man auf mehr als einem Wege zum Ziele dringen können. Jeder gehe ganz den Seinigen mit froher Zuversicht auf die individuellste Weise…der eigentliche Wert, ja die Tugend des Menschen sei seine Originalität.6“. Sie sollen aber gleichsam, durch die Phantasie ein Bild des Ganzen schaffen. Allerdings reicht es nicht hin nur Symbolik zu schaffen, die die Gegenwart karikiert. Im Schaffen des Dichters muss sich auch der Schein der göttlichen Perspektive wieder finden. Dies stellt Schlegel am Idealbild von Spinozas Poesie dar. „...ein klarer Duft schwebt unsichtbar sichtbar über dem Ganzen…dieser milde Widerschein der Gottheit im Menschen...“7. Das kreative Erzeugnis des Dichters steht dann aber nicht für sich alleine. Indem es die Schriften anderer Dichter anregt und sich mit diesen zu einem Gesamtwerk vereinigt, bildet sich die neue Mythologie. Das Ideal dieses gemeinschaftlichen Schaffensprozesses dürfte wohl das Gespräch sein, in dem verschiedene Denker sich gegenseitig mit ihren Ideen anstoßen. Dieses Ideal der Symphilosophie oder Sympoesie verwirklicht Schlegel in der "Rede über die Mythologie". Dort wird auch das Ausmaß deutlich, das der neue Schaffensprozess annehmen soll. Nicht nur Poeten, Philosophen oder Romantiker sollen, im Geiste des Idealismus, die neue Mythologie vorantreiben. Es sind Männer und Frauen, Geistes- und Naturwissenschaftler, die sich gegenseitig mit ihren Schriften befruchten sollen.

5 Die neue Mythologie als Sprache

Dies wirft die Frage nach der Kompatibilität der verschiedenen Schriften, Denkweisen und Disziplinen auf, die gemeinsam die neue Mythologie erschaffen sollen. In der "Rede über die Mythologie" spricht Schlegel, als einziges verbindendes Element, den "Geist des Idealismus" an. Ich will mich dieser Fragestellung zunächst mit einem Rekurs auf August Wilhelm Schlegels Schriften nähern. Er definiert die Sprache als einen "Abdruck des menschlichen Geistes, der darin die Entstehung und Verwandtschaft seiner Vorstellungen und der ganzen Mechanismus seiner Operationen niederlegt"8. Wenn die neue Mythologie die Form einer Sprache hat, wie kann dann ein einheitliches Alphabet und eine einheitliche Syntax entstehen, wenn doch all diese verschiedenen Denker und Disziplinen zusammen arbeiten? Gleich der Sprache, so fordert auch die Schaffung der neuen Mythologie einen "inneren Organismus des geistigen Daseins". Das heißt, dass poetisches Bewusstsein, mittels der Phantasie, in der Lage ist Bedeutungen in Worte zu legen. Dasselbe gilt für die Mythologie. Das Alphabet von Aphrodite bis Zeus wird mittels dichterischem Bewusstsein und Phantasie gebildet. Anschließend kann es genutzt werden, um erneut Bedeutungen zu transportieren. Die Mythologie ist also, so scheint es, eine Metasprache der Sprache. Und die Poesie bedient sich ihrer wiederum. "Die "freie selbstbewusste Poesie" die den Mythus als Stoff behandelt, indem sie ihn "dichterisch behandelt, poetisiert" steht deshalb noch um eine Stufe höher"9. Das heißt jedoch nicht, dass jede Poesie, die bedeutungstragende Elemente eines anderen Stoffes verwendet, eine neue Sprache darstellt. Ich will dies mit einem Beispiel illustrieren. In Mary Wollstonecraft Shelleys "Frankenstein" ist das Monster Sinnbild für die schöpferische und zerstörerische Kraft des Menschen. Im Film "Hancock" besitzt der Held eine alte vergilbte Eintrittskarte für eine Vorstellung von Frankenstein. Er selbst hat Superkräfte. Doch statt sie für die Erschaffung des Guten zu verwenden, zerstört er nur, sowohl seine Umgebung, wie sich selbst. Im Film durchläuft er einen Selbstfindungsprozess, infolge dessen er seine Kräfte einsetzt, um etwas zu erschaffen. Hier wird ein Element aus einem poetischen Werk dichterisch benutzt um den Bedeutungskontext eines anderen Werkes zu illustrieren. Dies geschieht über Genregrenzen hinweg. Trotzdem kann das Buch und der Film Teil derselben Mythologie sein. Dies illustriert auch, warum die Gebrüder Schlegel Mythologie und Poesie oft synonym verwenden. Indem der Mythos poetisiert wird, werden die Elemente der neu entstandenen Poesie selbst Teil des Mythos und können erneut verwendet werden, um Bedeutung zu transportieren. Dies geschieht auch über disziplinare Grenzen hinweg. So hat zum Beispiel die phantastische Literatur immer wieder Elemente aus Wissenschaft und Technik verwendet, um daraus Geschichten zu erschaffen, in denen Science Fiction dargestellt wird. Diese literarischen Vorlagen haben wiederum als Inspiration für die Wissenschaft gedient, um neue Technologien zu erschaffen. Als Beispiel kann man Jules Vernes "Reise zum Mond" anführen, in der ein Mensch mit der Kraft der Explosion zum Mond geschossen wird, was dann auch später realisiert wurde. Dies zeigt, wie die Poesie eine Universalsprache verwenden kann und damit nicht notwendig alle anderen Sprachen beherrschen muss. Es ist die Bildsprache des Allegorischen. "Soll die Poesie wieder zur Lehrerin der Menschheit werden, wird es ihre Aufgabe sein das System der Ideen in Bildern zu präsentieren"10 "Wird uns ein Gegenstand im Medium der Poesie gezeigt, so muss jeder Teil "durch dieses Medium gefärbt sein...dennoch bringt die poetische Darstellung dieser Begebenheit das "Wesentliche der Sache" klarer und deutlicher zur Anschauung, als es das "gewissenhafteste Protokoll" vermöchte"11. Damit können wieder Nebenideen transportiert werden. Natürlich sind dies nur einzelne Beispiele. Es bleibt die Frage, in wieweit dies ausreicht, um eine gemeinsame Sprache zu schaffen. Wie kann ein Dichter das vollständige Vokabular der Quantenphysik nutzen und mittels der Dichtung weiterentwickeln. Sind dieser Interdisziplinarität nicht Grenzen gesetzt? Hier muss man eine, noch weiter gehende Idee Friedrich Schlegels darstellen. Er hatte die Vision Elemente aus allen Wissenschaften zu universalisieren, sozusagen in dieselbe Sprache zu übersetzen. Diese Elemente sollen die Form von allgemein anwendbaren "Ideen" annehmen. Dabei wurde er vermutlich von der Ideenlehre von Immanuel Kant beeinflusst. Kant hatte statt dem Objekt, als zentralen Punkt aller Erkenntnis das Subjekt gesetzt. Die Vorstellung, dass Ideen unabhängig von Begriffen entstehen. Nicht umsonst spricht Schlegel von seiner Vorstellung einer Allgemeinpoesie als „Transzendentalpoesie“.
„Transzendental ist das Denken, wenn es sich gleichsam auf sich selbst bezieht und die Bedingungen erkundet, denen es unterliegt. In vergleichbarer Weise verfährt eine Poesie, die sich über sich selbst reflektierend erhebt und noch diese Reflexion zu einem Bestandteil ihrer selbst macht.12“. Die transzendentale Erkenntnis sucht das vor aller Erfahrung Gültige. Dies wurde von Fichte auf die Spitze getrieben, der das „Ich“ als absolut deklarierte und konsequenterweise nicht aus Lehrbüchern lehrte, sondern anhand eigener Ideen. Dies soll gewissermaßen ein offenes Ende dieses Kapitels bleiben. Ganz im Sinne der Symphilosophie. Es ist nicht Gegenstand dieser Arbeit Kants Ideenlehre oder Fichtes Definition des „Ich“ darzustellen. Aber es zeigt die Denkrichtung von Friedrich Schlegel an. Der selbst auch einen Abschluss dieser Überlegungen schuldig bleibt und andere zur Weiterentwicklung aufruft.

6 Die Wiederkehr der Geschichte in der neuen Mythologie

Schlegels Argumentation ist eine gewisse Zyklizität nicht abzusprechen. Damit meine ich nicht, dass seine Argumente zyklisch sind. Es gilt jedoch für seine Definition der Mythologie, beziehungsweise Poesie und des Wesens des Poeten, beziehungsweise Philosophen. Während meines Referats hatte ich die These aufgestellt, dass die Theorie von der Ontogenese und der Phylogenese13 auf Schlegels Theorie der Mythologie anwendbar sein könnte. Dies gilt in vielerlei Hinsicht. Zum einen ist die Konzeption der neuen Mythologie ein historischer Prozess. Indem der Poet sich über das Wesen der Natur und des Menschen klar wird (durch das Studium der Geschichte und der Poesie der Geschichte, das zur Mythologie wird) wird sein Geist befruchtet und daraus entsteht neue Poesie, die wiederum zur Mythologie wird. Er rekapituliert also die Phylogenese und bestimmt dadurch maßgeblich die Ontogenese seines Werks. Des Weiteren durchläuft der Poet die geistigen und spirituellen Stadien der Menschheitsgeschichte. Zunächst kommt die Poesie von der Natur her, was in historischer Hinsicht dem Schamanismus entspricht. Gleichsam ist jedoch das Individuum und dessen geistige Kreativität von zentraler Bedeutung. Dies entspricht dem Geniegedanken, wie er in der deutschen Klassik aufkam. Zuletzt ist aber der göttliche Widerschein im Menschen unabdingbar für die Schaffung wahrer Poesie. Dies lässt verschiedenste Gedankengänge aufkommen. Es bedürfte weiterer Essays dies auszuführen. Ich will jedoch nicht schließen ohne einige davon anzusprechen. Zunächst zum zyklischen Charakter. Der Mensch erkennt die Natur als Absolutum, dann erkennt er das Göttliche und schafft sich als Entsprechung das Pantheon. Nur um wieder sich selbst zum Mittelpunkt zu erklären und sich gar zu vergöttlichen. Religion und Säkularisierung sind abwechselnd von zentraler Bedeutung. All diese historischen Prozesse, so will es Schlegel, kommen im Poeten zusammen. Und in dessen Werken entsteht die neue Mythologie. “..eine neue Einheit des Denkens und Handelns...in der die Trennung von Mensch und Natur, Kunst und Leben, innerer und außerer Welt... überwunden wird...In dem...Prozess der...ichhaften Durchdringung der Natur stiftet die von Schlegel so bezeichnetet neue Mythologie eine Einheit... " 14.“Hier wird ganz deutlich, dass die Frühromantik das Zusammendenken der Extreme zu ihrem Prinzip erhebt. Das Individuum wird zur Menschheit, die wiederum als Individuum zu denken ist.“ 15. Es scheint, dass dieser Gedanke nicht so gewagt ist, wie mir dies während meinem Referat schien. Denn einige dieser Überlegungen stellt auch Heinz Gockel16 an. „Das Argument von Phylogenese und Ontogenese wird gewissermaßen umgekehrt. Was in der Menschheitsgeschichte als anfänglich mythisches Bewusstsein ausgemacht werden kann ist jedem Menschen jederzeit erfahrbar.“ 17. Zuletzt will ich noch anmerken, dass ich glaube Friedrich Schlegels Gedanken des ewigen Werdens und der Bewusstwerdung dessen was schon war, ist und sein wird, in Nietzsches Idee der „ewigen Wiederkehr“ wieder zu erkennen.

7 Offenes Ende

Mein Essay soll offen ausklingen. Ich denke die wichtigsten Punkte, die in Friedrich Schlegels Konzept der neuen Mythologie stecken, dargestellt zu haben. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, dass vieles unbeendet bleibt. Allein aufgrund der Einbettung des Begriffs der neuen Mythologie in das Gesamtkonzept der neuen Transzendentalpoesie. Wäre mein Essay ein Baum, so bliebe reichlich Platz für neue Triebe. Doch trotzdem denke ich, Schlegels Konzept der neuen Mythologie ist als ganzer Baum erkennbar geworden und bietet den Biologen unter den Poeten (also den Philosophen - ? M.R) genug Material um auf die DNA des Gewächses schließen zu können.

Anmerkungen
1 DlF S.193, Z. 24-26
2 KuTS S.191, Z.9-10
3 KuTS S.v 194, Z. 21-23
4 FR S. 258, Z. 7-10F
5 FS S. 50, Z. 3-4
6 KuTS S. 196, Z. 14-20
7 KuTS S. 194, Z. 6-11
8 FR S.80, Z. 8-10 Als Zitat von A.W. Schlegel
9 FR S. 80, Z. 34-36
10 DlF S. 202, Z. 29-31
11 FR S. 81, Z.30-32 - S. 82, Z. 1
12 FS S. 71, Z. 6-8
13 Dass die Phylogenese die Ontogenese rekapituliert.
14 FS S. 50, Z. 28 – S.51 Z. 2
15 FS S. 51, Z. 14-15
16 In: DlF
17 DlF S. 196, Z. 20-24




Literatur/Kürzel

KuTS: „Kritische und Theoretische Schriften“, Friedrich Schlegel. Stuttgart, Reclam 1978.

DlF: „Die alte, Neue Mythologie“, Heinz Gockel, in: „Die Literarische Frühromantik“, Hrsg. Silvio Vietta. Göttingen, Vandenhoeck 1983.

FR: „Frühromantik“, Ernst Behler. New York, De Gruyter 1992.

FS: „Friedrich Schlegel zur Einführung“, Berbeli Wanning. Hamburg, Junius 1999.













Friedrich von Schlegel

und

Das Programm der Frühromantik

Ausarbeitung des Referates vom 05.05.2008 Gerard Montague

Basierend auf: Safranski, Rüdiger. Romantik. Eine deutsche Affäre. München: Hanser 2007, drittes Kapitel (48 – 69).

1 Die Gebrüder Schlegel1

Die Brüder August Wilhelm von Schlegel und Friedrich von Schlegel gelten als Mitbegründer der deutschen Romantik. Der ältere, August Wilhelm, wurde 1767 als Sohn eines evangelisch-lutherischen Pastors in Hannover geboren. Nach einem Studium der Theologie und Philologie wurde er als Literaturhistoriker, Übersetzer Schriftsteller, Indologe und Philosoph bekannt. In Jena, wo er von 1794 bis 1801 lebte, hat August Wilhelm die neue Schule der Romantik entscheidend mitgeprägt, gemeinsam mit seiner Ehefrau Caroline, mit seinem jüngeren Bruder Friedrich und dessen Frau Dorothea, sowie mit Fichte, Ludwig Tieck und Novalis. August Wilhelm gilt als Standard-Übersetzer der Werke von William Shakespeare. 1803 wurde er Hausfreund von Madame de Stael, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten der Romantik-Bewegung in Europa. Gestorben ist er 1845 in Bonn.

Im Mittelpunkt dieses Referates steht Karl Wilhelm Friedrich von Schlegel, der 1772 geboren wurde, ebenfalls in Hannover. Seine Kindheit hat er überwiegend beim Onkel und bei seinem Bruder August Wilhelm verbracht. Nach einer abgebrochenen kaufmännischen Lehre studierte er Rechtswissenschaften, Mathematik, Philosophie, Medizin und Klassische Philologie in Göttingen und in Leipzig. Im Alter von 21 brach er das Studium ab und beschäftigte sich vor allem mit dem griechischen Altertum. Er sah sich als 'Winckelmann' der antiken Poesie.2 1796 folgte er seinem Bruder und dessen Frau nach Jena. Das Athenäum, das zentrale "Sprachorgan" der Romantischen Schule, wurde von den beiden Brüdern 1798 gegründet.

Nach der Habilitation als Privatdozent in Jena und einer Zwischenzeit in Dresden ging er zum Studium der Kunstsammlungen nach Paris. 1804 ging er nach Köln. Seinem steigenden Interesse folgend konvertierte er 1808 zum Katholizismus und trat anschließend in den österreichischen Staatsdienst ein. 1815 wurde er geadelt und von 1815 bis 1818 war als Vertreter Österreichs am Bundestag in Frankfurt. Im letzten Jahr seines Lebens hielt er Vorlesungen an der Universität Dresden, wo er 1829 verstarb.

2 Kontext und Werdegang

Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts sollte die Bildung praktisch alle Kreise der Bevölkerung in Deutschland erreichen, aber Anfang des Jahrhunderts gehörten immerhin ca. 25% der Erwachsenen zum potentiellen Lesepublikum. Ende des 18. Jahrhunderts wird das Viellesen in bürgerlichen Kreisen epidemisch. Zum Leseleben gehört die Muße und so schrieb Friedrich Schlegel in seinem Roman Lucinde:

O Müßiggang, Müßiggang! Du bist die Lebensluft der Unschuld und der Begeisterung; dich atmen die Seligen, und selig ist wer dich hat und hegt, du heiliges Kleinod! Einziges Fragment von Gottähnlichkeit, das uns noch aus dem Paradies blieb.3

Warum diese große Bedeutung des Lesens? Nach Safranski führte das Fehlen von städtischen Mittelpunkten zu einer Lust "…an der imaginären Gesellschaft im Buch und der reellen durch das Buch."4 Deutschland war zur damaligen Zeit keine politische Großmacht, besaß keine richtige Hauptstadt, keine weltweit tätigen Handels- und Kriegsflotten und keine Kolonien. Aus der Lust am Lesen kommt die Lust zum Schreiben und es war der Ehrgeiz der Romantiker, in ihren Schriften weiterzuleben. Die Schlegels selbst waren "…Meister darin, sich interessant zu machen." Ihre Schriften reflektierten Ihr Leben hinter der Literatur und auch umgekehrt.

Die schicksalhafte Begegnung mit Novalis erfolgte 1792 und Schlegel hatte sofort seine Genialität erkannt. "Das Schicksal hat einen jungen Mann in meine Hand gegeben, aus dem alles werden kann." Es war eine Zeit der Geheimbünde und sogenannte „Bündnisromane“ überschwemmten das Land. Deren Anknüpfungspunkte waren Jesuiten, Freimaurer, Illuminaten, Rosenkreuzer und weitere vermutliche oder reelle Geheimbünde. Man war von solchen unsichtbaren Händen fasziniert: "Das Unerklärliche ist nun nicht mehr Skandal, sondern Reiz."5 Der Begriff 'revolutionär' wird inflationär verwendet: Friedrich Schlegel spricht von der moralischen Revolution, der schönen Revolution, der ästhetischen Revolution und vom Idealismus als Revolution. Die Anarchie des Geistes gilt als Mutter einer wohltätigen Revolution. Die Kunst sollte eine Rolle als Ereignis innehaben und nicht als Produkt – die Früchte eines solchen Gedankens sind in der Kunstszene des 20. Jahrhundert voll gereift, mit Happenings und dergleichen.

Man befand sich in einem literaturbesessenen Milieu und in diesem Milieu entwickelten sich die hochfliegenden theoretischen Konzepte der Frühromantiker. Doch bevor wir zum eigentlichen Programm der Frühromantik kommen, möchte ich kurz innehalten und einen Vergleich mit der mir am besten vertrauten Kultur wagen.

3 Deutschland und die angelsächsische Welt um 1800 -Vergleiche und Kontraste

Zunächst eine Einschränkung: Es gibt im engeren Sinne keine "britische " Kulturwelt. Großbritannien, bzw. ab einem erzwungenen Act of Union im Jahr 1800 The United Kingdom of Great Britain and Ireland, besteht aus mehreren, ethnisch und kulturell diversen Teilstaaten. Die Scottish Enlightenment, mit zentralen Figuren wie David Hume und Adam Smith zeigt eine deutlich andersartige Ausprägung als die Englische, natürlich mit gegenseitigen Beeinflussungen. Allerdings: im Vergleich zum eher provinziellen Deutschland war Großbritannien eine vereinigte politische Macht. London war die unumstrittene Hauptstadt und das werdende globale Machtzentrum. Aus den Napoleonischen Kriegen sollte England als uneingeschränkter Herrscher der Weltmeere im 19. Jahrhundert hervorgehen. Große ingenieurtechnische Leistungen wie die Erfindung der Dampfmaschine und die Ausbreitung der Eisenbahnen führten in Verbindung mit billigen Rohstoffen aus den Kolonien zur industrial revolution und zu enormen sozialen Umwälzungen: Mit überwiegend positiven Ergebnissen für die Oberschichten und für die rapide wachsenden Mittelklassen aber mit katastrophalen Ergebnissen für diejenigen, die ihr Brot in den Fabriken verdienen mussten. Erst um das Jahr 1900 herum wird Deutschland als Wirtschaftsmacht aufgeholt haben.

So waren die Rahmenbedingungen der Romantik in Großbritannien gänzlich anders als in Deutschland. Man lebte und erlebte nicht in erster Linie in Büchern, sondern in der empirischen Welt. Auch in England wurde viel gelesen, aber das Lesen war – wenigstens im Vergleich zu Deutschland – eher Nebensache. Die Männer lasen überwiegend Sachliteratur, Romane waren Zeitvertreib für Frauen der gehobenen Schichten.

Die folgende Tabelle zeigt plakativ einige Kontraste auf:

D: Romantik als deutsche Affäre GB: Romantik als Nebensache

Der Vergleich mag im Detail angreifbar sein, sollte jedoch nur einige Tendenzen aufzeigen. Die Romantik hat es trotzdem in Großbritannien gegeben. Paradigmatisch für die englische Romantik ist das folgende Gedicht von William Wordsworth (1770 – 1802). Im Text werden die Unterschiede zwischen Stadt und Land verwischt, ja vollständig aufgehoben. Die Großstadt London im Morgenlicht – sicherlich schon damals arbeitsreich, laut und schmutzig – wird romantisch überhöht dargestellt, selbst die Häuser scheinen zu schlafen.


Composed Upon Westminister Bridge (1802)


Earth has not anything to show more fair:
Dull would he be of soul who could pass by
A sight so touching in its majesty:
This City now doth like a garment wear

The beauty of the morning: silent, bare,
Ships, towers, domes, theatres, and temples lie
Open unto the fields, and to the sky,
All bright and glittering in the smokeless air.

Never did sun more beautifully steep
In his first splendour valley, rock, or hill;
Ne'er saw I, never felt, a calm so deep!


The river glideth at his own sweet will:
Dear God! the very houses seem asleep;
And all that mighty heart is lying still!


Für den Leser sollten Ähnlichkeiten und Unterschiede zur deutschen Romantik sichtbar werden. Die Romantik englischer Prägung war leichter, 'romantischer', literarischer, weniger philosophisch, politisch oder gesellschaftlich geprägt; aktiv tangiert waren eher die Künstler als breite bürgerliche Schichten, die aber trotzdem dankbare Rezipienten der 'schönen' Werke der Romantik waren. Nun wenden wir uns der eigentlichen Kernthematik des Referates zu.

4 Programm der Frühromantik – progressive Universalpoesie

Die bereits erwähnte Zeitschrift Athenäum war für seine sogenannten Fragmente bekannt und das Fragment Nr. 116 enthält in Kurzfassung das Programm der Frühromantik:

Die romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung ist nicht bloß, alle getrennten Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen. Sie will und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik, Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie lebendig und gesellig und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen…6

Das Ziel ist die Wiedervereinigung aller getrennten Gattungen. Alles soll in Verbindung gebracht werden mit dem Geist der Poesie, eine Vermengung hergestellt werden aus Poesie und Prosa, aus Genialität und Kritik, aus Kunstpoesie und Naturpoesie. Das Kernthema heißt, die Poesie sollte lebendig und gesellig werden und das Leben und die Gesellschaft poetisch. Sämtliche Grenzen und Spezialisierungen sollten überwunden werden, die Grenzen zwischen Philosophie, Kritik und Wissenschaft; Zwischen der Logik des Alltagslebens und der freien schöpferischen Geistestätigkeit. Hegel sprach von einem "… bacchantischen Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist."7 Schiller hatte davon gesprochen, dass der Mensch zu einem Bruchstück geworden ist, was ihn daran hindert, die Harmonie seines Wesens zu verwirklichen. Schlegel plädierte für eine Wiedervereinigung.

Er bezog sich auf die Kultur der Griechen, die seines Erachtens nicht nur von der edlen Einfalt und stillen Größe geprägt war, sondern im Untergrund ekstatisch, wild grausam, auch pessimistisch. Waren. Safranski über die Ansichten Schlegels:

vielmehr sei es bemerkenswert, wie damals aus seinem schönen Chaos der Antriebe die gelungene Form geboren wurde. Das läßt für die Gegenwart hoffen. Denn in der Gegenwart herrscht auch Anarchie, es fehlt der Mittelpunkt, es handelt sich aber um eine langweilige, reizlose Anarchie. Es fehlt die Substanz. Man muß endlich, so Schlegel, Genialität ins Spiel bringen. Dazu aber muß man begriffen haben, daß das Leben vielleicht überhaupt nichts anderes ist als – ein großes Spiel.

Darin merkt man die Wirkung von Schillers Philosophie des Spiels

- Der Mensch sei nur dort Mensch, wo er spielt-

, die bei den Romantikern zum Spiel der Ironie wurde. Der alte Götterhimmel ist der Anfang aller Poesie. Die romantische und verspielte Ironie besteht darin, verständliche Sätze zu produzieren, die ins Unverständliche hinüberspielen, wenn man sie genauer ansieht. Und Schlegel resümiert: "Und ist sie selbst, diese unendliche Welt, nicht durch den Verstand aus der Unverständlichkeit oder dem Chaos gebildet?"8 Schlegel spricht vom offenen Kunstwerk: "Die Kritik soll die Werke nicht nach einem allgemeinen Ideal beurteilen, sondern das individuelle Ideal jeden Werkes aufsuchen."9

Zusmmenfassend meint Schlegel, es sollte eine neue Denkweise entstehen, "… die schaffende, die von der Freiheit und dem Glauben an sie ausgeht, und dann zeigt, wie der menschliche Geist sein Gesetz allem aufprägt, und wie die Welt sein Kunstwerk ist."10 Dieser Gedanke wurde von Fichte und anderen aufgegriffen und weiterentwickelt.

5 Philosophische oder literarische Bewegung?

Ist die deutsche Romantik eher eine philosophische, oder eine literarische oder schöngeistige Bewegung? Der oben zitierte fragende Satz, ob diese Welt nicht durch den Verstand aus dem Chaos gebildet wird, offenbart einen zutiefst philosophischen Ansatz Schlegels, eine Grundidee, die damals vielfach im Raum stand: Beim Idealisten Berkeley, aber auch in anderer Form bei David Hume und, bezugnehmend auf Hume, bei Immanuel Kant. Diese Idee sollte den deutschen Idealismus des 19. Jahrhunderts prägen. Und der deutsche Idealismus ist eine spezifisch deutsche Affäre, genau wie die deutsche Romantik. Sogar die Akteure waren teilweise die Gleichen, zum Beispiel Fichte, Hegel, Schelling. Elemente der Romantik sehe ich darüber hinaus, bis zum heutigen Tag, sowohl in der "linksphilosophischen" Entwicklung aus Hegel als auch in der "rechtsphilosophischen" Entwicklung des späten 19. und des 20. Jahrhunderts. So gesehen sollte aus der Frühromantik sowohl eine philosophische als auch eine literarische Bewegung entstehen. Aus der Sicht von Ludwig Tieck war die Zeit in Jena "… eine der glänzenden und heitersten Perioden meines Lebens." Wie er an August Wilhelm Schlegel 1828 schrieb:

Du und Dein Bruder Friedrich, - Schelling mit uns, wir alle jung aufstrebend, Novalis-Hardenberg, der oft zu uns herüberkam: diese Geister bildeten gleichsam ununterbrochen ein Fest von Witz, Laune und Philosophie.11

Deutschland das Land der Dichter und Denker? (=da gibt es Dichter & da gibt es Denker) Ausgehend vom Programm der Frühromantik können wir eher sagen:
Deutschland ein Land der Dichter-Denker.

Postskriptum

Dies Postskriptum bezieht sich auf einen weiteren englischen Romantiker, William Blake. Die Zeichnungen in seinen Songs of Experience stammen ebenfalls vom Dichter, der damit eine der von Schlegel an die Romantik gestellten Forderungen erfüllt. Somit sehen wir eine Vereinigung von Poesie, Sozialkritik und graphisch-ästhetischen Gestaltung in Blake´s "The Chimney Sweeper" .




1 Biographische Daten überwiegend aus: wikipedia.de

2 Johann Joachim Winckelmann ((1717 – 1768) gilt als Begründer der modernen Archäologie (wikipedia.de).

3 Zitiert in Safranski. 49.

4 Safranski. 50.

5 Safranski. 57.

6 Zitiert in: Safranski. 59.

7 Zitiert in: Safranski. 59.

8 Zitiert in: Safranski. 64.

9 Zitiert in: Safranski. 68.

10 Zitiert in: Safranski. 69.

11 Zitiert in: Safransk. 85.