Montag, April 16, 2012

Tillmann Weißer

Inhalte der ersten Meditation
HAMPE, Vier Meditationen über das Glück
Kapitel 2: Erwin Weinberger ABSCHAFFUNG DES UNGLÜCKS
durch Fortschritt


Einleitung (S.43–44)
Thesen: (S.43)
1. „Unser Weg zum Glück liegt in der Vermeidung des Unglücks.“
2. „Das beste Mittel, das wir [dafür] haben, sind Wissenschaft und Technik.“
„Die erfolgreichste Sicht auf die Welt,[...] sagt uns, dass diese gesetzmäßig ist: Sie ist ein Zusammenhang von Größen, die in Abhängigkeit voneinander variieren. Auch unser Glück variiert in Abhängigkeit von vielen, uns bis jetzt noch nicht bekannten Faktoren,“ die wir aber herausfinden werden. „Irgendwann wird sich uns alles aufschließen.“ (S.43)
Aufgabenstellung: (S.44)
1. Auseinandersetzung mit den Kritikern des Fortschritts und den Verächtern der wissenschaftlichen Wahrheit.
2. Untersuchung der Möglichkeit der Selbsttransparenz und ihrer Konsequenzen für das menschliche Glück.

Es gibt Fortschritt: Was uns die Geschichte der Wissenschaft lehrt (S.44–57)
Die wissenschaftliche Entwicklung hat vieles, was wir für göttliche Wunder gehalten haben, entzaubert. Dies wird durch einige Beispiele belegt (Magnetismus, Astronomie, Beschleunigung, Fortpflanzung).
These: (vgl.S.45) Wir können daraus folgern, dass wir alles, was uns heute unergründlich ist, eines Tages verstehen können. Insbesondere das Bewusstsein und das qualitative Erleben.
Beweis: Das wir das nicht erkennen liegt daran, dass wir das Wort Fortschritt falsch verstehen. Fortschritt ist nicht auf ein Ziel hin ausgerichtet, sondern er geht von einem Punkt weg. Wäre Fortschritt hin zu Wahrheit, so hätte die Wissenschaft noch gar keine Fortschritte gemacht, weil neue Theorien immer wieder nur zeigen, dass alte Theorien falsch waren.
„Daran erkennen wir den wissenschaftlichen Fortschritt, wenn wir den Blick [...], zurückwenden und nicht irgendein abstraktes Ziel wie ‚die absolute Wahrheit‘ oder‚ die unerschütterliche Gewissheit‘ anzupeilen versuchen. Wenn ich weg von Scranton, Pennsylvania, will, dann ist jede Bewegung, die mich von diesem Ort fortbringt, egal wohin sie führt, ein Fortschritt.“ (S.47)
„Doch auch wenn ich nicht weiß, ob Einstein dichter an der Wahrheit und Gewissheit ist als Newton [...], so ist doch klar, dass Einstein weiter vom Aberglauben und Irrtum entfernt ist als Newton, der die Gravitation noch für das Denken Gottes hielt und das Alter der Welt auf 6000 Jahre veranschlagte. Dies ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass Paris weiter von Scranton, Pennsylvania, entfernt ist als New York. Und auch wenn ich nicht weiß, wohin ich reise, so muss ich nur Scranton, Pennsylvania, im Auge behalten, um zu entscheiden, ob ich Fortschritte dabei mache, von dort wegzukommen. Ebenso muss ich nur unser Unverständnis, unseren Aberglauben und die daraus entstehenden Ängste, die uns unglücklich machen, im Auge behalten und festhalten, dass es das ist, von dem wir wegwollen, um zu sehen, dass wir uns in der Zeit zwischen Newton und Einstein tatsächlich davon wegbewegt, also Fortschritte gemacht haben, ohne zu wissen, wohin die Reise der Wissenschaft geht.“ (S.48)

...Ausfug in die Erfolgsgeschichte der Mathematik als Wissenschaft der formalen Sprachen und Kritik an der Redewendung etwas seien „bloße Worte“ (politische Bewegungen, Beleidigung, Verteidigungsrede)...

These: (vgl. S.52) Die Unterscheidung zwischen Sprache und Wirklichkeit ist im Grunde sinnlos, weil Sprache Teil der Wirklichkeit ist.
Beweis: Software ist Sprache die direkt die Wirklichkeit beeinflusst. Es macht keinen Sinn zwischen Wirklichkeit und Konstrukt zu unterscheiden. „Wenn das sprachliche Konstrukt einer Rede einen Arbeiteraufstand auslöst, wird man es kaum als unwirklich bezeichnen können. Wenn das konstruierte Auto, das in einer Nebelbank auf der Autobahn bremst, eine Massenkarambolage verursacht, warum soll man es dann ein‚ bloßes Konstrukt‘ nennen? Wenn das falsch berechnete Gebäude einstürzt und viele Menschen unter sich begräbt, warum soll man dann diese falsche Berechnung und das konstruierte Gebäude im Unterschied zur Butterblume in seiner Konstruiertheit nicht‚ ontologisch ernst‘ nehmen?“ (S.54)
Ob ein Ding ein Konstrukt oder natürlich ist, hängt von unserer Einflussnahme darauf ab. Haben wir es durch Konstruktion oder durch Probieren hervorgebracht? In ihrer Wirklichkeit unterscheiden sich die Dinge nicht. (Wichtiger Punkt für Weinberger)

Wer das Glück sucht, muss die Täuschung als Ursache des Unglücks vermeiden lernen (S.58–64)
„Wir haben gerade zu begreifen gelernt, dass die Bewegung des Fortschritts eine Bewegung weg von gegebenen Problemen darstellt. Genau dasselbe gilt für die Suche nach dem Glück. Sie darf keine Bewegung zu bestimmten Zielen sein, [...] sondern sie muss eine Bewegung weg von dem sein, was uns unglücklich macht, ebenso wie die Bewegung des Erkenntnisfortschritts nicht eine zur absoluten Wahrheit, sondern weg vom Irrtum ist.“ (S.58)
„Wer glücklich ist, sucht nicht, will zu nichts hin und von nichts weg.“ (S.58)
„Was aber ist der eigentliche Grund dieses menschlichen Unglücks [...]? Eine Antwort lautet: der Fanatismus der Identitätssuche und die Gewohnheit der Lüge [...]. Was ist die Hauptquelle von Fanatismus und gewohnheitsmäßiger Lüge[...]? Antwort: Die mit religiöser Intensität betriebene Identitätssuche und die menschliche Schwäche, die Dinge so zu akzeptieren und zu kommunizieren, wie sie sind. Warum verfallen Menschen der religiösen Identitätssuche und der habituellen Schwäche der Lüge? Antwort: Weil sie Begierden haben und sterblich sind.“ (S.58/59)
„Was aber kann man dem Fanatismus und der Lüge, der religiös-kulturellen Scheinidentität, die unsere tierische Natur leugnet, und der menschlichen Schwäche, der Wahrheit ins Auge zu sehen, entgegensetzen? Antwort: das ehrliche Streben nach Wahrhaftigkeit, das vor allem in der aufgeklärten Wissenschaft stattfindet.“ (S.60)
„Wenn das Unglück darin besteht, dass wir unsere Wünsche in der Wirklichkeit nicht realisieren können, dann gibt es im Prinzip zwei Auswege aus dem Unglück: Entweder wir ändern die Wirklichkeit, so dass unsere Wünsche in ihr verwirklichbar werden, oder wir ändern uns selbst, so dass wir nicht mehr die entsprechenden Wünsche haben.“(S.62)
„Wenn wir ernsthaft das Glück suchen, müssen wir uns von allem wegbewegen, was uns zum Selbstbetrug und zur Täuschung anderer verleiten kann, auch von der religiösen Lebensform.“ (S.64)

Relativismus und Kapitalismus
(S.65–69)
„Diese Entwicklung der Flexibilisierung macht Menschen orientierungslos und unglücklich, weil zu fexible Menschen nicht mehr wissen, von was sie sich wegbewegen sollen um ihre Lage zu verbessern. Zu sagen, es sei nur tolerant, wenn man den eigenen Standpunkt relativiere und den fremden genauso anerkenne wie den eigenen, bedeutet meist, dass man den eigenen Standpunkt genauso wenig ernst nimmt wie den fremden, dass man ihn von einer Außenperspektive aus ansieht und vergisst oder ignoriert, dass man auf ihn angewiesen ist, um sich überhaupt irgendwohin bewegen zu können.“(S.65)
„Sicher ist es in bestimmten Situationen sinnvoll, eine Außenperspektive auf das eigene Leben einzunehmen, um überhaupt zu erkennen, worin die Probleme [...] bestehen.“ (S.65)
„Wenn man jedoch einmal die eigenen Lebensprobleme erkannt hat, dann muss man sich mit ihnen als den eigenen auch identifizieren, um die Kraft aufzubringen, sie zu lösen.“ (S.65) Der Relativismus existiert nur als Außenperspektive.
Die Ablehnung der Wirklichkeitsrelevanz jeglicher wissenschaftlichen Wahrheit, [...] ist also letztlich eine Auforderung zur Standpunktlosigkeit, die die Anstrengungen entwertet, die wir als Individuen und als Gemeinschaft unternommen haben, um das Unglück zu vermeiden.“ (S.67)
„Beide herrschenden Ideologien: die einer auf das Jenseits bezogenen religiösen Identität und die der nicht vorhandenen Identität der im Kapitalismus flexibilisierten Menschen sind Quellen des Unglücks. Sie sind zu ersetzen durch die Idee einer aufgeklärten Existenz, die durch das Streben nach Wahrheit getragen wird.“ (S.68/69)

Der Wert der Wahrheit (S.69–77)
Alles auf der Welt ist konstruiert. Es gibt keine einfachen im Gegensatz zu konstruierten Wahrheiten. Dieser Punkt ist sehr wichtig für Erwins Lösung des Glückproblems. „Wir können nur da etwas Schwieriges und für das Leben Bedeutsames verwirklichen, herstellen, konstruieren, wo wir genau[...] und wirklich [...] wissen, wie die Dinge tatsächlich beschaffen sind.“ (S.72)
„Das meiste Unglück im menschlichen Leben kommt [...] dadurch zustande, dass wir uns ein falsches Bild von der Wirklichkeit machen, dass wir sie nicht so sehen, wie sie ist, weil wir uns vor den Tatsachen fürchten.“ (S.73)

...Wissenschaftstheorie ...

Intensitätssuche als Täuschungsursache (S.77–81)
Der Mensch hat ein Bedürfnis nach emotionaler Intensität. Dies ist eine wohl möglich urzeitliche Idee, die jetzt unnötig ist und zu Süchten führt. „Das Intensitätsbedürfnis von Menschen ist [...] ein Problem, das wissenschaftlich-technisch zu lösen ist, wen man auf dem Weg weg von den Unglück verursachenden Faktoren im menschlichen Leben vorankommen möchte.“ (S.81)
Das wichtigste Problem, das es dabei zu lösen gilt, ist das wie.

Problemlösung (S.82–86)
Programm: (S.82)
1. Akzeptanz der Tatsachen
2. Veränderung der Tatsachen (Macht aufbauen)
3. nähere Untersuchung der „Konstanten des Unglücks:“ Tod, Begierden, Bedürfnis
nach Intensität.

Angst vor dem Tod (S.86–96)
„Erwachsenwerden bedeutet u.a. zu lernen, sich ‚von außen‘ zu sehen und die eigenen Imaginationen nicht mit den Tatsachen zu verwechseln.“ (S.86)
„[A]uch angesichts des Todes müssen wir lernen, erwachsen zu werden [...].“ (S.87)
„[W]eil wir keine persönlichen Erfahrung vom Tod haben können, aus der wir gelernt haben, wie es ist zu sterben, imaginieren wir alles Mögliche beim Anblick einer Leiche und beim Erwägen der Frage, wie es wohl sein wird, wenn wir selbst einmal in diesem Zustand sind.“ (S.89)

Mathematik erfasst das Individuum (S.97–105)
Der Umgang mit Begierden setzt deren Kenntnis voraus. Um soziale Faktoren wie Scham auszuschalten, müssen wir die Begierden objektivieren und messen lernen. Man kann alles im Menschen messen.
„Welchen Eigenschaften eines Individuums graduierbar und messbar sind, ist keine prinzipielle Frage, sondern eine, die vom Stand der experimentellen und messenden Forschung und der Genauigkeit der Messgeräte abhängt.“ (S.100)
Lösungsvorschlag: Armbanduhr, die alles misst und anzeigt. Auf dieser Grundlage kann durch Handlungen oder Medikamente auf die Begierden Einfluss genommen werden. (vgl.103f)

Handhabung der Begierden (S.106–108)
1. „Eine Person sollte frühzeitig, als jugendliche, ihre affektiven Tendenzen messend kennen- und steuern lernen. Je früher ein solcher Lernprozess beginnt, umso virtuoser und flexibler wird die spätere Handhabung der eigenen Affektivität sein.“
2. „Personen sollten in beruflichen und sozialen Zusammenhängen leben, die ihren affektiven Tendenzen entsprechen. So, wie eine mathematisch-technisch wenig begabte Person nicht Pilot werden sollte, ebenso sollte ein zu Furcht und übermäßiger Aggression neigendes Individuum nicht den Beruf des Soldaten ergreifen, weil das Nichtzusammenpassen von affektiven Tendenzen und Kompetenzen zu den beruflichen Anforderungen zu Unglück führt.“
3. „Eine Person sollte lernen, welche affektiven Muster für sie eine Suchtgefahr darstellen, ob sie etwa die Tendenz hat, einer Spiel- oder Sexualsucht zu verfallen, weil Süchte eine der wesentlichsten Quellen des Unglücks sind.“
4. „Eine Person sollte mit solchen Individuen soziale Kontakte pflegen, die nach der Metrik ihrer Affektivität gut zu ihr passen, das heißt, sie sollte in dem für sie angemessenen sozialen Umfeld ihr Privatleben zubringen, denn affektive Dissonanzen im Sozialleben sind eine wesentliche Quelle des Unglücks.“
5. „Jede Person muss lernen, die Befriedigung ihrer Begierden und das Auftreten von positiven Affekten zu ‚verendlichen‘. Denn sie alle sind mit ‚Kosten‘ auf der physiologischen Seite verbunden, wie die entsprechende Metrik der Substanzen anzeigt, die bei Bedürfnissen und ihrer Befriedigung im Spiele sind. Die Befriedigung von Begierden und die Erzeugung angenehmer Gefühle kann nicht beliebig oft wiederholt werden, wie am ‚Affektspiegel‘ unschwer abzulesen sein wird.“

Intensität und die Erzeugung des Sinns in der aufgeklärten Existenz
(S.109–112)
„Menschen möchten in einzelnen Lebenssituationen möglichst intensive positive Gefühle empfnden, aber sie wollen auch, dass ihr Leben einen Zusammenhang ergibt, den man wie eine gut erzählte Geschichte nachvollziehen kann, und es nicht einfach in Episoden zerfällt.“ (S.109)
„Menschen müssen [...] lernen, Sinnzusammenhänge zu erzeugen, in ihrer Arbeit, indem sie ihren Kompetenzen entsprechend beschäftigt werden, und in ihrem Sozialleben, indem sie mit Menschen zusammenleben lernen, mit denen sie einen alltäglichen Sinnzusammenhang entstehen lassen können, und sich nicht nur in situativen affektiven Konflikten und positiven Intensitäten bewegen.“ (S.110)
„Das Glück aufgeklärter Menschen wird weder in dauernder Lust noch in einem Streben nach jenseitigem Heil bestehen, sondern sich aus der Kompetenz ergeben, das Unglück, das situativ aus dem Streben nach intensiven Gefühlen entstehen kann, zu vermeiden und zu lernen, in der jedem zur Verfügung stehenden endlichen Lebenszeit mit Sinn vereinbare Intensitäten zu erzeugen.“ (S.111)
„Menschen, denen die wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten zur objektiven Selbsterkenntnis zur Verfügung stehen und die gelernt haben, sich vorurteilsfrei selbst zu kontrollieren, werden auch die Möglichkeit haben, das Unglück zu vermeiden.“ (S.112)

∆έν ελπίζω τίποτα Ich schaue nicht nach vorne,
∆έ φοβόµαι τίποτα ich schaue nicht zurück,
Ειµαι λέφτερος ich bin (nur) für den Moment – glücklich.

Doch siehe auch: Mike Roth, Philosophische LebensART zu diesem Spruch von Kazantzakis.
Ich hoffe nichts . Ich fürchte nichts. Ich bin frei
Roth/Staude, Konstanz 2010, 99
und den Text in PHILOSOPHISCHE PRAXIS 4, 97 ff:
 "Erlebnisse zu Hampes Kanon"
http://www.buchhandel.de/default.aspx?strframe=titelsuche&caller=vlbPublic&nSiteId=11&Func=Search&stichwort=kunsten

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