Dienstag, März 12, 2013

1966 ff in Neu-Belgrad

Novi Beograd (kyrillisch Нови Београд, deutsche Entsprechung „Neu-Belgrad“) ist ein Stadtbezirk von Belgrad. Mit rund 390.000 Einwohnern und einer Fläche von 41 km² ist er auch der größte Stadtbezirk Serbiens.
Genex-Turm, markantestes Wahrzeichen von Novi Beograd
1923 wurde der Plan gefasst, Belgrad auf die linke Uferseite der Save zu erweitern. Doch wurde erst am 11. April 1948 (unter Tito) der Grundstein für die Erweiterung gelegt. Aufgebaut wurde der Stadtteil durch die jugoslawischen Arbeitsbrigaden. (wiki)
Neu-Belgrad ist ein Schmelztiegel mit hohem Anteil an Zugezogenen und vielen Bildungs- und Kultureinrichtungen. Ein Teil davon ist die „Studentenstadt“. Es herrscht ein anregendes, Neuem und Neuen aufgeschlossenes Klima.
Zoran Djindjic notiert in seinem kurzen tabellarischen Lebenslauf 1978:
Ausbildung
1957 -1965 Grundschule in Travnik
1966 – 1970 Gimnasium in Belgrad
Die Familie kommt durch Arbeitsplatzwechsel des Vaters aus der Provinz in die Hauptstadt. Der 14 jährige Zoran ergreift die neuen sich ihm hier bietenden Möglichkeiten und integriert sich schnell.
Als Stadtbezirk Belgrads wurde Novi Beograd 1952 eingemeindet. Die Verbindung über die Save zum Stadtzentrum von Belgrad erfolgt über zwei Eisenbahn- und vier Straßenbrücken, von denen die Gazela und die Brankov most die wichtigsten sind.
In der ersten Welle der jugoslawischen Studentenbewegung spielt Neu-Belgrad eine wichtige Rolle.
Zoran wird hiervon atmosphärisch schon etwas mitbekommen haben. Ein 4 Jahre Älterer berichtet:



Dragomir Olujić: »Unsere Bewegung war pro-jugoslawisch«
Dragomir Olujić zählte zur Kerngruppe der Protagonisten der jugoslawischen Studentenbewegung. Er wurde 1948 in der Vojvodina geboren. Olujić begann 1967 in Belgrad Politische Wissenschaften zu studieren. Nach den Protesten im Juni 1968 engagierte er sich in der studentischen Neuen Linken und wurde dabei mehrmals verhaftet. In den späten 1980er  und während der 1990er Jahre engagierte sich Olujić in der antinationalistischen Opposition gegen den Krieg. Heute lebt er als freier Journalist in Belgrad.
Das Interview wurde am 22. 6. 2007 in Belgrad von Boris Kanzleiter für grundrisse (Wien) geführt.

Was ist am 2. Juni 1968 genau passiert, als der Protest an der Belgrader Universität ausbrach?
Ganz in der Nähe der großen Studentenwohnheimanlage in Novi Beograd, der so genannten Studentenstadt (Studentski grad), war damals eine Jugendarbeitsbrigade untergebracht, die dort am Bau der Autobahn Belgrad – Zagreb arbeitete. In diesen Tagen wurde die so genannte »Karawane der Freundschaft« vorbereitet. Das war eine Musikveranstaltung, bei der verschiedene Sänger auftraten. Das Konzert tourte durch ganz Jugoslawien. Die Organisatoren der »Karawane der Freundschaft« hatten für den Abend des 2. Juni ein Konzert in der Studentenstadt geplant, bei dem sich Studenten und die Mitglieder der Jugendbrigade gemeinsam vergnügen sollten. Aber dazu sollte es nicht kommen. Der Wetterbericht hatte für den Abend Regen angekündigt. Die Organisatoren haben das Konzert in den Kinosaal der »Arbeiteruniversität« verlegt, die sich ganz in der Nähe befand. Aber dort hatten viel weniger Leute Platz. Die Gratiskarten wurden nur an die Mitglieder der Arbeitsbrigade verteilt. Die Studenten wurden nicht über die Änderung des Programms informiert. Als am Abend viel mehr Leute auf das Konzert wollten als dort Platz war, begann am Eingang des Kinosaales eine Schlägerei. Eine oder zwei Polizeipatrouillen kamen. Aber sie konnten das Handgemenge nicht beenden. Ganz im Gegenteil: die Rauferei wurde immer heftiger. Mittlerweile ging es gar nicht mehr um das Konzert. Das Problem war jetzt, dass die Polizei brutal auf die Studenten einschlug, ohne irgendwelche Unterschiede zu machen. Das wurde auch im Radio der Studentenstadt bekannt gegeben. Die Leute waren empört. Immer mehr Studenten gingen auf die Straße. Ein mittlerweile angerückter Wasserwerfer der Polizei wurde gekidnappt. Die Polizei zog sich etwas zurück und positionierte sich an einer Bahnunterführung, wo sie weiter verstärkt wurde. Diese Unterführung war das Nadelöhr durch das man gehen musste, wenn man in Richtung Innenstadt wollte. Als die Studenten dort ankamen, griff die Polizei erneut sehr brutal mit Schlagstöcken an. Daraufhin zogen wir uns um etwa ein Uhr oder halb zwei nachts in die Studentenstadt zurück und begannen damit, Versammlungen abzuhalten, welche bis zum frühen Morgen dauerten.
Auf diesen spontanen Versammlungen entwarfen wir unsere ersten Forderungskataloge, das so genannte »Drei plus Vier Programm« oder »Proglas« (Aufruf). Eine Forderung war natürlich, dass sich die Polizei zurückziehen soll und wir friedlich in der Innenstadt demonstrieren können. Wir wollten vor dem Parlament eine Stellungnahme der Regierung zum brutalen Polizeieinsatz fordern. Am Vormittag des 3. Juni machten wir dann tatsächlich den zweiten Versuch einer Demonstration in der Innenstadt. Aber an der Bahnunterführung waren jetzt massive Polizeieinheiten stationiert. Sie standen so dicht, dass keine Nadel auf den Boden hätte fallen können, wie man so schön sagt. Dort war auch Veljko Vlahović, einer der führenden Parteiideologen in dieser Zeit. Er genoss auch unter den Studenten großes Ansehen, hatte er doch als Internationalist im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft. Während des Zweiten Weltkriegs war er Chef des »Radio Jugoslawien«, das von Moskau aus in das von Deutschen besetzte Jugoslawien sendete. Vlahović war ein Mythos. Neben Vlahović war auch Miloš Minić dort, einer der führenden serbischen Politiker der Zeit. Neben ihnen standen auch noch der Bürgermeister Branko Pesić sowie andere Politiker. Mit diesen Funktionären begannen die Sprecher der Demonstration zu verhandeln. Auf Seiten der Studenten führte Vladimir Mijanović das Wort. Ein junger und militanter Typ aus der Herzegowina. Er hatte alle diese harten Eigenschaften, welche mit den Bewohnern dieses Landstriches verbunden werden. Die Politiker boten uns an, dass wir eine Delegation in das Parlament schicken könnten. Aber damit hatten wir schon Erfahrung. Eine solche Delegation würde ein paar Stunden lang von einem Büro ins nächste geführt und dort von drittklassigen Funktionären abgespeist werden. Am Ende des Tages wäre dann praktisch nichts passiert. Die Delegation der Studenten insistierte daher auf die Demonstration. Und wieder war die Reaktion der Polizei ein brutaler Übergriff. Die Polizisten schlugen einfach auf alle ein, die sie erwischen konnten. Selbst Miloš Minić wurde verprügelt, als er sich schützend vor eine junge Frau stellte. Viele Polizisten waren aus der Provinz herangekarrt worden und kannten die Politiker nicht. Minić wurde so zum »Kollateralschaden«, wie man das heute wohl nennen würde.
In der Zwischenzeit hatten sich aber auch an den Fakultäten in der Innenstadt viele Studenten versammelt. Ein Streik mit der Dauer von sieben Tagen wurde proklamiert. Diese zeitliche Beschränkung haben wir ganz bewusst vorgenommen. Wir hatten ja schon gewisse Erfahrungen, und vor allem Vladimir Mijanović war ein geborener Organisator, der wusste, dass wir die Energie, welche der Streik erforderte, nicht auf lange Dauer aufbringen konnten. An jeder Fakultät wurden Aktionsausschüsse gebildet. Aber das Zentrum des Streiks war an der Philosophischen Fakultät. Rund um diese Fakultät mit ihrem wunderschönen Innenhof lagen noch eine Reihe anderer Fakultäten. Von der Philosophischen Fakultät gingen die Impulse auf die anderen Fakultäten aus.

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