Samstag, Januar 02, 2016

80 000 jährige Rekonstruktion UR religio ART

Archäologisches Museum Frankfurt

Bärenkult und Schamanenzauber

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Ein Bärengrab: Und Bärengräber. Am Ende ihrer Rituale bestatteten die vorzeitlichen Jäger ihre Beute gewissenhaft. Kein Knochen durfte fehlen.  Foto: Andreas Arnold
Eine Ausstellung im Archäologischen Museum widmet sich den Ritualen früher Jäger. Die Ausstellungsmacher haben dafür spannende Exponate zusammengetragen.
                          
 
Weil sie den Bären so sehr verehrten, luden ihn die Niwchen, ein Volk im russischen Norden, gern zu ihrem Bärenfest ein. Das ging so: Ein Bär, als Jungtier gefangen und jahrelang im Käfig gehalten, wird an Seilen durchs Dorf geführt, mit Stockschlägen gereizt, damit er zeigt, wie stark er ist. Am Ende kommt ein Bogenschütze und erlegt den erschöpften, wehrlosen Bären. Lebt er nach drei Pfeilen noch, übernimmt der nächste Schütze. Dann wird der Bär aufgegessen. Der Mann, der ihn häutet, weist dabei alle Schuld von sich.

Rumänische Schädel

Die Ausstellung beginnt mit dem jüngsten Fund: Im Jahr 1987 fanden Forscher in einer Höhle im rumänischen Pestera Rece mehrere Bärenschädel, nach den vier Himmelsrichtungen angeordnet. Wie sich zeigte, handelt es sich um das 80.000 Jahre alte erste Zeugnis einer „Form von Bärenverehrung, die man sich nicht näher erklären kann“, sagt Museumsdirektor Egon Wamers.
Das Museum macht dennoch den Versuch, das Phänomen zu erklären – und hat dabei manch spannendes Detail zusammengetragen, besonders aus Skandinavien, aber auch aus anderen arktisnahen Gebieten. Da sind etwa Bärenfelle und Geweihe zu sehen, viel Schamanenausrüstung (Kleidung, Tierfiguren, Trommeln), Bärenfellmasken, eine 10 000 Jahre alte Hirschgeweihkappe.
Und Bärengräber. Am Ende ihrer Rituale bestatteten die vorzeitlichen Jäger ihre Beute gewissenhaft. Kein Knochen durfte verloren gehen – man glaubte, daraus erstehe der Bär von den Toten auf. Das war den Menschen wichtig. Wamers: „Anders als heute bei den Wiesenhof-Hähnchen.“ Die Jäger, beschreibt er, sahen die Natur als beseelt an: „Mensch und Tier auf derselben wertemäßigen Seinsstufe.“ Daraus resultierte ein Schuldgefühl, wenn der Jäger tötete; eine Verpflichtung, es wieder gutzumachen.
Die Folge war ein Zeremoniell, die Anbetung des Bären als Herr des Waldes. Schamanen brachten sich in Ekstase, um „in die jenseitige Welt zu wechseln und Dinge im Diesseits in Ordnung zu bringen“, schildert Wamers. Solcherlei wurde später als „erschröckliche Abgötterej und Verehrung der Teuffel“ verdammt. Doch der Kult, etwa der Hirschtanz mit Geweih, hat in Polarnähe bis heute Bestand. Dagegen hätten unsere Rituale – Wildschweinstrecke, Hornblasen – wenig mit Tierverehrung zu tun, sagt Co-Kuratorin Liane Giemsch: „Das ist eher Jagdstolz.“
Die Ausstellung dauert bis Ende März und ist dienstags bis sonntags ab 10 Uhr geöffnet. Es gibt ein Begleitprogramm mit Führungen, Quiz und Vorträgen. Am heutigen Samstag, 19 Uhr, singt ein saamischer Künstler den rituellen Gesang der Schamanen, den Joik.